Mutter des Monats
Sonnenseite geblieben, hatte ein gutes, ausgefülltes Leben genossen. Und was hatte sie davon? Jetzt lag sie am Boden und wurde ausgestoßen wie jede andere vor ihr. Dumm gelaufen.
»Ja, natürlich«, sagte sie voller Mitleid. »Das verstehe ich total. Der Job. Klare Sache.« Sie zog mit typischer Bea-Geste die Schultern hoch und drehte die Handflächen nach außen. »Der Job. Sicher.«
»Sie veranstaltet einen Lunch?« Deborah, bemerkte Rachel, war keine Heuchlerin. Mit ihren Gefühlen verfuhr sie ähnlich wie eine Oberstufenschülerin mit einer Matheaufgabe: Jeder Schritt war so transparent, dass alle wussten, wie sie zum Ergebnis gelangt war.
» Bea? Kocht ein Mittagessen? «
»Ja, genau, ein Mittagessen bei Bea …«
»Und hat mich nicht eingeladen?«
Jeder Schritt des Erkenntnisprozesses stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»So eine dumme Zicke !«
Volle Punktzahl, dachte Rachel. Alles richtig. Und sie war schneller als ich. Rachel sprang auf, bevor sie jemand aufhalten konnte. »Und wo wir gerade dabei sind: Der Ball muss nicht unbedingt das Motto ›Englischer Winter am Meer‹ tragen! Wenn du einen Strandball im Tropenparadies feiern willst, dann mach das ruhig, Mädchen! Mach, wonach dir der Sinn steht.« Sie schnappte sich die Jacke. »Lasst euch den Kaffee schmecken, viel Spaß noch, wir sehen uns an der Schule.« Und verschwand durch die Tür. Draußen auf der grauen Hauptstraße atmete sie in tiefen Zügen die feuchte Luft ein und hob ihr Gesicht in den Regen.
15.15 Uhr: Schulschluss
Georgina lehnte am Zaun mit dem Rücken zur Schule und betrachtete ihr Auto. Der Anblick des schlafenden Hamish auf der Rückbank trieb ihr die Tränen in die Augen. Seine langen Wimpern zuckten im Traum. Gab es eigentlich was Schöneres auf der Welt als das weiche, runde, in mehrere Falten gelegte Kinn eines satten, glücklichen Babys? Die fahle Herbstsonne kämpfte sich hinter den Wolken hervor, während Georgina sie in Gedanken anfeuerte. Der Garten brauchte wirklich dringend etwas Sonne. Mit einem zufriedenen Seufzen schob sie die Hände tiefer in die Hosentaschen. Erst nach einer ganzen Weile bemerkte sie Rachel, die in sich zusammengesunken neben ihr stand.
»Hallo. Was machst du denn hier auf der falschen Seite?«
»Wusstest du, dass Bea vor den Ferien ein Mittagsmenü kocht?«
»Danke der Nachfrage. Mir geht es auch gut. Ja, schönes Wetter heute …«
»Sorry. Hallo. Wie geht es dir? Und so weiter. Also, wusstest du Bescheid? Über das Essen bei Bea? Für das man eine bescheuerte Einladung braucht?«
»Ähm, ja. Ich geh aber nicht hin.« Georgina zog eine Schachtel Marlboro Lights hervor. »Willst du eine?«
»Nee, danke. Du hast also eine Einladung bekommen?« Was für ein Mist. Unglaublich. »Weißt du was? Ich nehme doch eine.« Sie beugte sich vor, damit Georgina die Zigarette anzünden konnte. »Wieso hat sie dich eingeladen?« Sie nahm einen Zug. »Sorry, das war nicht böse gemeint.«
»Schon okay. Habe ich mich auch schon gefragt. Arbeitsgruppe hier, Mittagessen da – die alte Nervensäge lässt mich einfach nicht in Ruhe. Ein klarer Fall von Belästigung. Vielleicht sollte ich sie verklagen.«
»Also gehst du nicht hin?«
»Wozu sollte ich? Du hättest mal die Einladung sehen sollen. Immer dasselbe. Das ist das Problem dieser Schule: Sie lernen es einfach nicht.« Georgina schüttelte resigniert den Kopf. »Entsetzliche Rechtschreibung, wie immer: Einladung zum Mittag’s Menü mit Deppenapostroph.« Georgina war richtig aufgebracht. »Und alles voller Smileys!« Sie schnippte Asche ins Gras. »Keine zehn Pferde würden mich dahin bringen.«
»Sie war mal meine Freundin, weißt du. Meine beste Freundin.«
Georgina schnaubte erbost. Sie konnte sich furchtbar über die Inflation des Wortes »Jonglieren« aufregen, mangelnde Rechtschreibung war ihr ein Gräuel, aber ganz oben auf ihrer Hassliste standen erwachsene Frauen, die andere Erwachsene als beste Freunde bezeichneten. Sie waren doch nicht mehr im Kindergarten! Da konnte man ja gleich im Rüschenrock herumtanzen oder auf der Straße knutschen. Total albern. Gerade von Rachel hätte sie das nicht erwartet.
»Eine meiner besten Freundinnen. Und ausgerechnet in dieser Zeit, wo um mich herum alles zusammenbricht, behandelt sie mich wie den letzten Dreck.«
Georgina vermutete, dass Beas plötzlich erwachtes Interesse an ihr etwas damit zu tun hatte. Auf diese Weise machte sie Rachel unmissverständlich klar, dass sie offiziell
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