Mutter des Monats
aufgeben –, da war Bea aufgetaucht. Was dann geschehen war, wusste Deborah nicht mehr genau. Es war zu einem Streit gekommen wegen Weihnachten. Und wegen des englischen Wetters. Wegen Schnee und Rotkehlchen auf den Zweigen. Als ob das wichtig wäre, wo es doch nur darum ging, dass Leute sich in Schale werfen und ein rauschendes Fest feiern sollten. Und plötzlich, bevor Deborah überhaupt kapiert hatte, was los war, hatte Bea verkündet: »Gut, dann sind wir uns ja einig. Der Kompromiss heißt: Seeball im englischen Winter.«
»Moment mal!«, jaulte Deborah auf, als hätte sie Schmerzen. »Merk dir kurz, was du sagen wolltest. Wenn wir diesen Punkt mal kurz vorziehen könnten …«
Doch Rachel und Georgina kicherten schon wieder, diesmal so laut und störend, dass Bea Deborahs Aufheulen nicht hörte und einfach weitermachte, als leite sie das Meeting. »Also«, sagte sie in die Runde, die mal Deborahs Runde gewesen war. »Ich habe noch einen Vorschlag. Nur so als Idee, es ist ja nicht mein Ball, also auch nicht meine Entscheidung, aber vielleicht sollten wir eine stumme Auktion veranstalten. Damit kriegen wir viel Geld zusammen. Ich bin gerade echt am Jonglieren und kann das natürlich nicht übernehmen, aber ein anderer könnte vielleicht einen winzigen Teil seiner Zeit dafür opfern …«
»Gern, Bea«, sagte Colette mit plötzlichem Eifer.
»Tausend Dank, Col«, sagte Bea. »Du bist echt ’ne Wucht! Ich weiß, wir machen sonst was anderes, aber diesmal, wo wir glücklicherweise jemanden wie Deborah an Bord haben, könnte sie doch vielleicht jemanden aus ihrem Bekanntenkreis in der Londoner Szene bitten, den ersten Preis zu stiften. Einladung zum Promidinner oder so was.«
»Hä? Ich kenne doch gar keine Promis …«
Weiter kam Deborah nicht, denn alle waren ganz entzückt und betrachteten sie auf einmal mit Respekt, und dann sagte Bea auch noch: »Jetzt hör dir das an. Bei so viel Begeisterung kannst du nicht ablehnen. Jetzt bist du mal dran. Dinner mit einem von Deborahs Promibekannten.« Sharon trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Der Preis ist heiß!«
Dann war Bea verschwunden, und die meisten anderen mussten auf einmal auch dringend weg. Colette musste sich um die Cellulite ihrer Kundinnen kümmern, Sharon und Jasmine um den Garten. Georgina musste Hamish vom Spielkreis abholen, Joanna hatte noch Schlaf nachzuholen, bevor ihre nächste Schicht begann. Heather meinte, Deborah solle doch nicht so ein finsteres Gesicht machen, doch Clover fand, das sei gut so, denn der Ausdruck würde ihr stehen. Deborah war ganz sonderbar zumute. Das Gefühl kannte sie gar nicht, es war unbeschreiblich. Ein bisschen so, als wäre sie von einem sehr großen, sehr schweren Auto überrollt worden.
11 Uhr: Große Pause
Rachel saß allein am Tisch und wartete auf einen Kaffee, den sie gar nicht trinken wollte. Eigentlich hatte sie sich gleich nach diesem skurrilen Meeting aus dem Staub machen wollen, doch mit der Idee war sie nicht die Einzige gewesen. Und die arme Deborah hatte so bedauernswert ausgesehen, dass Rachel es gemein gefunden hätte, einfach abzuhauen. Heather war mit ihr an die Kuchentheke gegangen, um dort zum Trost eine große Portion tierischer Fette und Kohlehydrate zu bestellen.
Rachel sah sich um. Im Café war es heiß und stickig. Draußen regnete es in Strömen, typisch englischer Winter am Meer. Die Leute wurden nass, kamen ins Café und gaben die Feuchtigkeit wieder ab. Es war proppevoll – weder an den Tischen noch am Tresen oder im Hinterzimmer war ein Platz zu bekommen –, aber nicht laut. Das lag an den ruhigen, gesitteten Damen, die sich hier versammelt hatten. Nein, nicht ganz. Am Nebentisch hüllten sich ein Mann und seine Gattin in eheliches Schweigen. In der großen Hand hielt er eine feine Kuchengabel, mit der er trübselig in seinem Windbeutel stocherte. Aber sonst kam sie sich vor wie in einem Roman aus dem 19. Jahrhundert: Die Männer waren im Krieg, bei der Arbeit oder hatten Besseres zu tun.
Ein paar waren jünger als sie, hatten Babys in Buggys und Fläschchen dabei, die warmgemacht werden mussten. Alle anderen aber waren älteren Jahrgangs. Manche sogar richtig alt. Sie waren schon eine Lebensphase weiter als die bunte Truppe, die den Winterball organisieren sollte. Diese Frauen besuchten schon die Oberstufe des Lebens, während sie noch in der Mittelstufe herumkrebsten. Anfang Sechzig zu Mitte Dreißig.
Sie lauschte dem Gespräch der Frauen am Tisch hinter ihr. Da sie
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