Mutter des Monats
sich wieder Rachel zu. »Was ich eigentlich sagen wollte: Bea hat immer die Kontrolle. So ist sie. Darüber definiert sie sich. Das ist die Essenz ihres Bea-Seins. Sie ist die Frau, die alles unter Kontrolle hat. Ergo, wenn sie damit aufhört, ist sie dann noch Bea? Hm?«
Georgina amüsierte sich prächtig. Ein bisschen Amateurphilosophie, bevor die Kinder aus der Schule kamen, was wollte man mehr? Auch Rachel musste lächeln.
»Weißt du was?« Das Geplänkel hatte sie offenbar aufgemuntert. »Ich glaube, du hast mich gerade auf eine brillante Idee gebracht.«
Mittagessen bei Bea
8.40 Uhr: Vor Schulbeginn
»Hey, das fällt mir ja erst jetzt auf: Du hast ja gar keine Sportsachen an!« Rachel musterte Heathers Outfit: Wenn sie sich nicht irrte, war alles neu. Und irgendwie unpassend. Es war Rachel sonnenklar, was hier gelaufen war: Die Frauen hatten sich vor den Ferien zum Shoppen verabredet, und entweder Bea oder eine andere aus der Clique hatte sich Heathers Runderneuerung angenommen. Das kürzlich erblondete Haar, Lipgloss und Röhrenjeans in Stiefeln, alles sah sehr nach Bea aus. Oder eben nicht, denn Heather hatte zwar infolge ihres neuen, strengen Fitness-Regimes ein paar Kilo abgenommen, doch auch mit ihrer neuen Figur war und blieb sie die alte, häusliche Heather. Hier versuchte Botero, eine Degas-Ballerina zu malen. Rachel würde sie am liebsten anflehen, damit aufzuhören, wollte sie vor diesem Hexenzirkel und vor sich selbst schützen. Stattdessen lief sie im Gleichschritt neben Heather her und murmelte: »Äh, übrigens, schöne Ohrringe.«
Die Mädchen balancierten vor ihnen auf der Bordsteinkante und taten so, als liefen sie über ein über den Niagarafällen gespanntes Seil. Rachel hatte Angst, sie könnten stolpern und vor die Autos der Schulabholer fallen, aber Heather – die Frau, die sich mal für ein Verbot von Filzstiften in der Schule eingesetzt hatte, weil die ja so giftig waren – kümmerte sich gar nicht darum.
»Bea hat mir gestern Abend eine SMS geschickt, dass heute keine Zeit für Sport ist. Da hat sie natürlich vollkommen recht.« Ihr schauderte vor Aufregung. »Das Mittagsmenü.«
Rachel hörte nur mit halbem Ohr zu, denn bei den Mädchen war offenbar was im Busch.
»Wer reinfällt, muss mit ihr reden.«
»Bloß nicht ich.«
Nachher musste sie unbedingt Poppy ausquetschen. Heather war gerade wichtiger. Ausnahmsweise.
»Großer Tag, hm?« Rachel nickte aufmunternd. »Und? Hast du meinen Rat befolgt?«
»Hab ich.« Heathers Wangen glühten. »Ich mache die Vorspeise.«
»Toll.«
»Tritt auf Stein«, hörte Rachel ihre Tochter mit heller Stimme rufen, »und stell ihr ein Bein.«
»Auf Stein getreten!«, rief Maisie triumphierend, und die Mädchen kicherten. Die beiden benahmen sich merkwürdig. Aber momentan gab es Wichtigeres.
»Und was machst du?«
» Filet de canard avec sauce de raisin et des pinien kerner irgendwas et tempura des endives et mit, ähm, Blumenkohlklößchen.« Heather strahlte stolz.
»Potzblitz!«
»Ich weiß! Haben sie beim Promidinner gekocht.«
»Hmmm. Und? Haben sie gewonnen?«
»Nein, aber das Urteil lautete ›überfrachtet‹ und die Jury sprach von einer ›Kollision der Gaumenreize‹.«
Kaum war die Schule in Sicht, preschte Heather vor. Sie hatte Bea entdeckt, die im Pilates-Outfit steckte, wie Rachel bemerkte. Kein Wunder, wenn alle anderen für sie kochten. Also hatte sie doch genug Zeit, um heute Vormittag noch Sport zu treiben.
Rachel drückte Poppy einen Abschiedskuss auf die Wange, wandte sich ab und dachte lächelnd an das, was sie noch vor sich hatte. Das hier war fast wie in der Kunst, dachte sie. Einer dieser seltenen kreativen Schaffensmomente entschädigte einen für die vielen jammervollen Stunden, Monate und Jahre des Künstlerdaseins: Wenn beim Malen plötzlich etwas geschah, was sich der eigenen Kontrolle entzog, und daraus etwas Neues, Wunderbares entstand. Wenn das Bild, das du eigentlich malen wolltest, durch den künstlerischen Prozess zu einem ganz anderen wird. Wenn du auf einmal etwas schaffst, das du nicht einmal im hintersten Winkel deiner Fantasie vermutet hättest.
Zugegeben, so gut war es nicht. Aber fast so gut. Ihr war nämlich gerade klar geworden, dass Bea nichts zu ihrem Mittagessen beitrug, weil alle anderen etwas mitbrachten. Dadurch nahm sich Bea aber genau das, was sie dringend brauchte: im Mittelpunkt zu stehen. Rachel spielte Bea damit einen amüsanten, harmlosen Streich und führte
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