Mutter des Monats
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Ich dachte immer, es wäre irgendwie nett, wenn unsere Kinder mit möglichst unterschiedlichen Leuten zu tun hätten. Aber ihr findet, Kinder, die anders sind, sollten besser irgendwo auf eine andere Schule gehen, wo sie sich besser entfalten können?«
Heather meinte, im äußersten Winkel ihres Hinterstübchens Unbehagen zu verspüren, doch sie war nicht sicher. Hatte Maisie nicht gesagt, sie möge Milo? Aber bevor sie Zeit hatte, der Angelegenheit in ihrem Hirn mehr Platz einzuräumen – das Thema war etwas komplex –, schäumte Georgina plötzlich über wie ein Topf kochender Milch.
»Na, glücklicherweise ist es völlig wurst, was du meinst, Beatrice!« Sie spuckte Nüsse! Das war echt eklig. »Denn das Prinzip der Inklusion in unserem Bildungssystem lässt sich leider nicht so einfach aushebeln, auch von dir nicht.« Sie erhob sich. »Das hast du, verdammt noch mal, überhaupt nicht zu entscheiden. Gott, ich brauch ’ne Kippe.« Sprach’s und verschwand.
Hoppla, dachte Heather. Sie hatten sich doch nur ein bisschen unterhalten, da musste man sich doch nicht gleich so aufregen. Sie sah verstohlen zu Bea, die mit leicht gerunzelter Stirn an der Stirnseite des ovalen Tisches saß und einfach umwerfend aussah. Während Heather mit Kochen beschäftigt gewesen war, hatte Bea ihr langes blondes Haar gewaschen und geglättet. Jetzt glänzte es richtig, und sie sah so elegant aus. Hin und wieder verengte Bea ihre strahlend blauen Augen, und während die Stimmen am Tisch, nun wieder beruhigt, hin- und herwogten, huschte ein hübsches Lächeln über ihre feinen Gesichtszüge. Ach, Bea, dachte Heather. Bei diesem Anblick geriet sie glatt ins Träumen. Ach, Bea …
Ihr Unterbewusstsein hatte das Geräusch zwar schon vor einiger Zeit wahrgenommen, aber aufgefallen war es ihr erst jetzt. Rachel summte. Sie schob Hamish in seinem Buggy den Hügel hinauf und summte vor sich hin, als wäre sie fröhlich. Oder so was.
Rachel hatte fast vergessen, wie positiv sich der Umgang mit Kleinkindern auswirken konnte, denn sie brachten Struktur und Routine in den Alltag der Erwachsenen. Es war erst halb zwei nachmittags, doch sie war schon auf dem Spielplatz herumgerannt, hatte Obst gegessen, Saft getrunken und eine kurze Vormittagsgeschichte vorgelesen, etwas Hausarbeit erledigt, während Hamish auf dem Boden gespielt hatte, und gerade ein köstliches Mittagessen, bestehend aus Fischstäbchen und Gemüse, verspeist. Sogar bei ihrer Mutter war sie hereingeschneit. Rachel schämte sich richtig, dass sie sonst viel weniger schaffte. Woher kam nur diese Vorstellung, mit Kleinkindern hätte man keinen Spaß und keine Freiheit mehr? Ihre Freiheit als Mutter von schulpflichtigen Kindern bestand darin, dass sie sich Stunde um Stunde in ihrem Haus einsperren, die Wände anstarren, zu wenig essen und normalerweise nichts schaffen durfte.
Sie umrundete den Schulzaun und lief links am kleinen Supermarkt vorbei. Hamish schlief ein. Bei der Post rechts ab, und schon war sie in der Mead Avenue gelandet. Hatte die nette Melissa nicht erzählt, sie sei vor Kurzem in die Mead Avenue gezogen? Das passte irgendwie nicht. Wie konnte sich ein so außergewöhnlicher Mensch hier niederlassen? Rachel ging ein paar Schritte weiter, um sich genauer umzusehen. Die Straße war lang und schmal, verlief bergab und beschrieb dann eine sanfte Kurve, doch das war das einzig Bemerkenswerte an ihr. Alle Häuser waren relativ neu und sahen identisch aus – akkurate geradlinige Heime für akkurate geradlinige Familien. Nicht so krumm und schief wie ihr Haus. Sie merkte, dass sie nicht mehr summte.
Diese Gegend gehörte zur Gemeinde von St. Ambrose, daher kannte Rachel einige aus der Mead-Avenue-Clique. Eine echte Clique war das: Sie feierten Nachbarschaftsfeste und veranstalteten Grillabende, sogar die Weihnachtsbeleuchtung für die Straße stimmten sie miteinander ab, und ihnen fiel ständig was Neues ein. Hier ging alles um Nachbarschaft – Rachel konnte es nicht mehr hören. Die fahle Wintersonne fiel auf die penibel gemähten Rasengrundstücke und spiegelte sich in den polierten Kanaldeckeln. Vielleicht schien auf der Mead Avenue immer die Sonne, etwas anderes würde sie sich wohl auch nicht trauen. Oder handelte es sich vielleicht um den Glanz nachbarschaftlicher Selbstzufriedenheit? Man bildete sich wohl ein, alle wollten hier wohnen, nur weil die Makler diese Gegend als attraktive Wohnlage bezeichneten. Nun, sie, Rachel
Weitere Kostenlose Bücher