Mutter des Monats
im Beruf glücklicher wäre? Erzähl uns doch noch mal schnell, Georgina …« – Bea starrte sie so bewundernd an, dass Georgina der Appetit verging – »… welch furchtbar klugen Beruf du vor den Kindern hattest.« Georgina starrte wütend zurück. »Juristin? Stimmt das?«
»Sie war ganz oben auf der Karriereleiter«, piepste Heather.
Genau, ganz oben.
»Und richtig gut.«
Das stimmte unbenommen.
»Und die Arbeit war so interessant.«
Ach, dachte Georgina. Ich sollte euch jetzt zum Schweigen bringen und erzählen, dass der Job ganz okay gewesen war. Ziemlich interessant. Gelegentlich. Und manchmal sterbenslangweilig. Sie sah auf ihren Teller und säbelte am Entenfleisch herum.
»Unglaublich spannend.« Bea beobachtete Georgina, während sie auf einem Blättchen Endivie kaute. »Und jetzt? Jetzt hockst du mit den Kindern zu Hause.« Sie schüttelte bekümmert den Kopf.
Georgina beugte sich vor und mied die Blicke der anderen, während sie sich mehr auf den Teller lud. Auch dazu hätte sie was anmerken können. Das Gegenteil war nämlich der Fall.
Georginas Leben war voll praller, lebendiger Schaffenskraft. Alles, was sie schuf, sei es Essen, ein schöner Garten, Kinder, ein Zuhause oder eine Familie, erfüllte sie mit einer vorher nie empfundenen, tiefen Zufriedenheit. Trotz ihres steten Schaffens las sie mehr Bücher, hörte mehr Musik und genoss mehr Denkfreiheit als während ihres gesamten Berufslebens. Denn sie konnte denken, was und wann sie wollte. Das war ein echtes Privileg. Georgina fühlte sich mittlerweile klüger als je zuvor in ihrem Leben. So klug war sie, dass sie schwieg und weiteraß.
»Ich glaube«, fuhr Bea fort, »dass du mit den Qualifikationen für eine solche Karriere unbedingt wieder arbeiten solltest ? Es ist doch irgendwie unmoralisch, es nicht zu tun ? Wenn du die Ausbildung hast, dann solltest du sie auch nutzen ?« Bea hob ihre Stimme am Ende eines jeden Satzes an, als handelte es sich um Fragen.
Georgina nahm sich ein zweites Mal nach und dachte an ihre Zeit als Rechtsanwältin. Dachte an die Heerscharen von Rechtsanwälten mit mehreren Jahren Erfahrung, die über ihr gestanden hatten. An die Heerscharen von Rechtsanwälten, die gerade mit dem Studium fertig gewesen waren und sich hinter ihr an die Spitze gedrängt hatten. Und wie die Vorstellung, dass sie und alle anderen Hochqualifizierten den sinnlosen Weg von der Wiege bis zum Sarg entlangschlurften, sie fast um den Verstand gebracht hatte.
Colette sprang auf. »Jetzt gibt’s Nachtisch!«, verkündete sie.
Georgina dachte auch an den entscheidenden Moment in ihrem Leben, als sie Kate das erste Mal in den Armen gehalten und die verängstigten Augen in dem zerknautschten Gesichtchen gesehen hatte, die verzweifelt versucht hatten, den ersten undeutlichen Bildern einen Sinn zu entnehmen. In diesem Moment hatte Georgina gedacht: Ha, das ist es! Endlich. Das ist das Einzige, was nur ich schaffen kann.
Sie erhob sich und wedelte mit ihrer Schachtel Marlboro Lights. »Ich geh mal schnell in den Garten und verpeste die Luft ein bisschen, ja?«
»So, da wären wir.« Rachel stellte den Buggy mit Hamish im Flur ab und ging in die Küche. »Kann ich dir helfen?«
Melissa zögerte nur einen Augenblick, bevor sie antwortete.
»Nett von dir.« Lächelnd legte sie ihre Gartenjacke über die Stuhllehne. »Aber ich schaffe das, glaube ich, allein. Welche Sorte Tee möchtest du?« Sie öffnete den Schrank über dem Wasserkocher. »Earl Grey? Schwarztee?«
»Hm?«
Rachel war so vertieft in die neue Umgebung, dass sie kaum zuhörte. Wow!, dachte sie, was für eine Küche. Rachel hatte viel Zeit damit verbracht, sich Küchen vorzustellen, sie zu zeichnen und einzelne Darstellungen zusammenzuführen, um ein harmonisches Ganzes zu schaffen, weil Küchen in ihrer kleinen Nische der Weltliteratur von großer Wichtigkeit waren. Alles passierte in der Küche. Für Kinderbücher waren Küchen so wichtig wie Dachböden für Gruselgeschichten. In Kinderbüchern kam jeder Held oder eben die Gummistiefel des Helden in die Küche, denn dort geschah garantiert immer was.
»Grün?«
Doch selbst ihrer lebhaften Fantasie war noch nie eine so wunderbar küchelige Küche entsprungen. Die Wände waren in einem warmen Ockergelb gestrichen, das dem Raum einen goldenen Schimmer verlieh. Die wuchtige Anrichte bedeckte fast eine ganze Wand, das schwarz-weiße Geschirr darin stand artig stramm wie Dienstmädchen in einem Herrenhaus. Es gab sogar einige
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