Mutter des Monats
jeden Tag hinaufmarschierte.
»Der war Rektor? Er sieht sehr jung aus …«
»Auf diesem Bild ist er erst zwanzig.« Tom war sichtlich gerührt. »Er war wohl eine Art Held und für Größeres bestimmt. Eigentlich hatte er Politiker oder Anwalt werden sollen.« Tom blätterte weiter. »Bis er aus dem Krieg heimkehrte.«
Erschreckt starrte Rachel auf das nächste Foto: Es zeigte zwar wieder Mr Stanley, doch auf diesem Bild trug er eine Augenklappe, ihm fehlte ein Arm, seine Haltung war schief und sein Blick verstört. »Mein Gott! Der arme Mann.«
»Das kann man wohl sagen. Nach dem, was man ihm angetan hatte, hätte er es nicht mehr weit bringen können. Doch er war über zwanzig Jahre lang Rektor dieser Schule. Wer weiß also, was wir ihm zu verdanken haben? Jedenfalls«, er schloss das Album und gab es ihr, »weiß ich nicht, ob du schon so weit bist, aber vielleicht hilft es dir ja bei der Zeitleiste?«
Bei der … ? O Mist, die verdammte Zeitleiste. »Ja. Prima. Hab noch genug Platz dafür.«
»Sehr gut. Und die andere Sache: Wir müssen noch einen Termin für das Abendessen ausmachen.«
»Ach, nein wirklich. Das muss nicht sein. Überhaupt nicht. Ehrlich. Das war …«, stammelte sie.
»… ein Streich, ich weiß. Dann brauchen wir ja nicht mehr darüber zu sprechen. Alles klar.« Er richtete den Blick auf den Schreibtisch und räumte Bleistifte, Papier und ein Foto von einem berittenen Soldaten zur Seite. »Trotzdem schulde ich der glücklichen Gewinnerin ein Abendessen. Und meine Schulden begleiche ich immer.«
»Obwohl du in London gearbeitet hast?« Rachel hatte die Fassung wiedererlangt.
»Das war einer von vielen Gründen hinzuwerfen. Außerdem«, jetzt hob er den Kopf und sah ihr in die Augen, »wäre es mir ein großes Vergnügen. Wenn du magst. Hast du vielleicht an irgendeinem Abend nächste Woche Zeit?«
Lass mich nachdenken – also eigentlich habe ich an sieben Abenden in der Woche Zeit. »Ja, das müsste gehen.«
Er schlüpfte in seine Jacke und hielt ihr die Tür auf. Die muffige Sekretärin sah vom Bildschirm auf und warf Rachel einen bösen Blick zu. Der Lärm der Mittagspause verebbte langsam, es war Zeit für den Nachmittagsunterricht. »Sollen wir Donnerstagabend ins Auge fassen?«
15.15 Uhr: Schulschluss
Heather stampfte mit dem Fuß auf. Sie hatte angeboten, Poppy nach Hause zu bringen, damit Rachel ungestört arbeiten konnte. Die Mädchen waren mittlerweile sowieso unzertrennlich, auch wenn Maisie Scarlett immer noch anhimmelte. Da konnten sich die Mütter beim Abholen auch abwechseln. Ah, da waren sie schon. O je! Sie sahen besorgt aus. Heathers Magen verkrampfte sich. Sie konnte es kaum ertragen. Was war jetzt wieder los?
»Alles klar, Mädchen? Einen schönen Tag gehabt?«
Maisie und Poppy tauschten Blicke, dann nickte Poppy. »Ich erzähl es dir auf dem Hügel«, sagte Maisie und marschierte so schnell mit Poppy zum Schultor, dass Heather fast hinterherrennen musste.
»Was ist los?«, zischte sie, kaum dass sie das Schulgelände verlassen hatten.
»Es ist wegen Milo Green …«, setzte Maisie an.
»… und Scarlett«, fügte Poppy hinzu.
»Jede Pause ist sie gemein zu ihm.«
»Außer, wenn wir ihn beschützen.«
»Aber wir wollen gerne spielen.«
»Und das können wir nicht.«
»Weil sie ihn dann ärgert.«
»Aber Maisie, Schatz, du magst Scarlett doch total gern! Sie ist deine beste Freundin!«
Maisie redete weiter, als hätte sie Heather nicht gehört. »Schau, Milo sagt, orange ist seine Lieblingsfarbe, aber er mag keine Orangen …«
»… und Scarlett sagt, orange kann nicht seine Lieblingsfarbe sein, wenn er keine Orangen isst.«
»Er soll grün als Lieblingsfarbe haben.«
»Aber das ist doch alles albern, total albern«, sagte Heather verärgert. »Wirklich, ihr beiden …«
»Heute hat sie wieder angefangen. Hat eine Orange mitgebracht und ihn gezwungen, sie zu essen.«
»Das hat sie schon vor den Ferien gemacht, und dann weint er, und wir …«
»Jetzt hört mal zu, Mädchen. Ich finde, ihr solltet euch da hübsch raushalten.« Das klang in Heathers Ohren wirklich ein bisschen bescheuert, dass jemand die Farbe einer Frucht als Lieblingsfarbe wählte und sie dann nicht essen mochte. Damit beschwor man den Ärger ja förmlich herauf. Wichtigtuerei. »Also, für mich hört sich das an, als müsste Milo diesen Streit allein ausfechten. Er war ja auch dumm genug, damit anzufangen, dann soll er jetzt selbst damit klarkommen.«
Für Mädchen wie Maisie
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