Mutter des Monats
und Poppy wäre es ein Riesenfehler, sich mit Scarlett anzulegen. Oder mit ihrer Mutter.
Gott sei Dank gab es getönte Scheiben, dachte Deborah und rutschte tiefer in den Fahrersitz. Sie war extra früh gekommen, um den Parkplatz neben dem Tor zu ergattern. Der war äußerst beliebt, denn nur von dort aus konnte man im Auto sitzen bleiben und die Kinder trotzdem aus der Schule kommen sehen. Sie hatte ihn Ashleys fetter Mutter direkt vor der Nase weggeschnappt und ihren kleinen Triumph genossen. Der letzte lag schon länger zurück, stellte sie fest, als sie den Motor abstellte. Verdammt, was war nur aus ihr geworden? Deborah Green war einmal eine Frau von Format gewesen. Sie hatte was bewegt, manchmal sogar Leben verändert – jedenfalls ihrer Einschätzung nach. Und jetzt? »Hattest du einen schönen Tag, mein Schatz?« »Ja, ganz toll, danke. Ich habe es gerade noch geschafft, Ashleys fetter Mutter den Parkplatz wegzuschnappen.« Herrje. Als sie sich blöderweise entschlossen hatte, ihre Karriere vorübergehend an den Nagel zu hängen, war sie von einem ruhigen Leben ausgegangen. Von diesem Horrortrip hatte sie ja keine Ahnung gehabt.
Während die anderen Eltern nach und nach Grüppchen bildeten, blieb Deborah stur in ihrem Range Rover sitzen. Sie gehörte ebenso wenig dazu wie jemand, der auf einer exotischen Insel auf Eingeborene trifft. Da saß sie nun, die ehemalige Chefin der riesigen Personalabteilung eines ernst zu nehmenden Unternehmens, aber mit den Menschen von St. Ambrose kam sie einfach nicht klar. Sie musste ehrlich zu sich selbst sein – Deborah legte großen Wert auf Ehrlichkeit, und Selbsterkenntnis war in ihren Augen eine Tugend – und einsehen, dass alles schiefgelaufen war. Mal wieder.
Natürlich war seit dem Ball kaum ein Monat vergangen, und die Zeit hatte noch nicht alle Wunden ihrer verletzten Eitelkeit heilen können. Seit die Fluten ihr tolles, ihr verdammt noch mal fabelhaftes Zelt überschwemmt hatten, war sie abgetaucht, und je länger das so blieb, desto unwahrscheinlicher wurde es, dass man sie hier wieder aufnehmen würde. Aber das war noch nicht alles. Auch vor dem Tsunami von St. Ambrose hatte sie bereits – stell dich den Tatsachen, Deborah – nicht richtig dazugehört. Kein Wunder. Nicht, dass sie unbeliebt gewesen wäre, nein, sie war einfach – damit hatte sie mittlerweile zu leben gelernt – zu schön, zu klug und zu erfolgreich. Die anderen wären gern wie sie, doch sie waren einfach nicht gern mit ihr zusammen. Dieses Päckchen musste sie einfach tragen. Sie hatte es schon einmal gesagt, und das würde nicht das letzte Mal sein: Schriebe sie eine Autobiografie, sie würde sie Mit Neid leben lernen nennen.
Sie seufzte und wollte sich gerade noch mehr verkriechen, als sie plötzlich ein Gesicht am Fenster zusammenzucken ließ. »O Gott! Scarlett!« Sie ließ das Fenster herunter. »Ich wäre ja fast vom Sitz gefallen!«
»Ich liebe Ihr Auto, Mrs Green.« Scarlett strich über die glänzende Karosserie wie ein interessierter Käufer. »Darf ich mal reinschauen?«
»Natürlich. Spring rein, hier ist es warm.«
Scarlett lief um den Wagen und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. »Ich liebe Ihre Ledersitze, Mrs Green.«
»Vielen Dank, Scarlett. Sag doch bitte Deborah zu mir. Mein kleiner Bruder konnte das übrigens nicht aussprechen und nannte mich Bubba.« Ah, da kamen ja Milo und Martha.
»Toll! Sie haben auch einen kleinen Bruder. Wie ich.« Scarlett öffnete das Handschuhfach und spähte hinein. »Kleine Brüder sind witzig, nicht? Ich liebe meinen.«
Deborah beugte sich vor und schloss das Fach mit Nachdruck. »Bitte nichts anfassen. Da sind meine Geheimnisse drin.«
»Ich liebe Geheimnisse.«
»Das glaube ich dir aufs Wort.« Aber ihr kleiner Vorrat an Notzigaretten war geheim, top secret . »Also, mein kleiner Bruder ist mittlerweile 36 Jahre alt.«
»Ahhh« Scarletts Ausruf klang wie harmonischer Gesang. Das erste Mal wandte sie den Blick vom Auto ab und sah Deborah an.
»Ist der auch verhaltensauffällig wie Milo? Ihr Bruder?«
»Verhaltensauffällig? Auch ?« Trotz der Sitzheizung lief Deborah ein kalter Schauer über den Rücken. »Scarlett, was zum Teufel redest du da?« Ihr Blick fiel auf Milo und Martha, die sich dem Auto näherten. Die kleinere, jüngere und stämmigere Martha marschierte voraus, Milo schlurfte mit hängendem Kopf hinterdrein. »Niemand ist verhaltensauffällig. Mein Bruder macht in Immobilien und verdient ein Vermögen. Und
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