Mutter des Monats
»Alles nur wegen dem Knoten. Seitdem redet Bea nicht mehr mit mir, und jetzt wollen sie mich loswerden, das weiß ich ganz genau. Jetzt haben sie mich schon das zweite Mal diese Woche abgehängt.« Sie schniefte theatralisch.
»Na ja, man kann Bea nicht die Schuld geben, oder, Rachel?«
»Nö, man kann Bea nicht die Schuld geben. Mensch, an dem Vormittag hatte sie schließlich Aerobic – und dann war der Knoten auch noch gutartig.« Georgina spuckte das letzte Wort mit großer Verachtung aus.
Rachel gähnte. »Gutartig, wie langweilig.«
»Kein Anlass zum Feiern.«
Heather schlurfte ein paar Schritte auf die beiden Frauen zu. »Es war blöd von mir, dass ich so viel Zeit mit Bea und den anderen verbracht habe. Wisst ihr, so langsam kommt mir der Verdacht …«, sie beugte sich vor und flüsterte, »… dass sie es nicht immer gut mit einem meinen.«
Georgina wich vor Schreck einen Schritt zurück und drückte Hamish an die Brust. »Nicht doch! Meinst du wirklich?«
Heather schüttelte den Kopf. »Das sind eigentlich keine netten Menschen, weißt du. Georgina, verzeihst du mir? Darf ich öfter bei euch mitmachen? Bei eurer Clique?«
»Mein Gott, wie oft denn noch?« Georgina setzte sich Hamish auf die Hüfte, marschierte schnurstracks zu ihrem Auto und rief Heather über die Schulter hinweg zu: »W IR SIND KEINE VERDAMMTE CLIQU E!«
Grinsend rief Rachel zurück: »Wir sehen uns gegen elf.« Sie musste wirklich von diesem Parkplatz weg, um vor der Kaffeepause wenigstens noch ein bisschen zu arbeiten. Aber ihre Beine waren ganz anderer Meinung, denn sie hatten sich – von ganz allein – bereits auf den Weg zum Schulgebäude gemacht.
Seit jenem wunderbaren Tag der Gourmet-Lotterie ging sie fast jeden Tag kurz auf ein Schwätzchen zu Tom ins Büro. Nachdem sie den Fischauflauf gegessen hatten, waren sie auf so viele Ideen und Fragen zur Zeitleiste gekommen, dass sie noch immer darüber redeten. Dabei handelte es sich um nichts Weltbewegendes: Rachel hatte mehr über das Schulgesetz zu Zeiten der Schulgründung erfahren wollen, und Tom hatte ein paar Unterlagen dazu hervorgekramt. Ein Bericht über den Besuch des Prince of Wales war darunter gewesen, den er unbedingt hatte sehen wollen. Bei jedem Treffen war es um harmlose Kleinigkeiten gegangen. Als der Nachbar ihrer Mutter eine alte Kappe gefunden hatte, die er zur Schule getragen hatte, als England die Fußball-Weltmeisterschaft gewann, war sie damit natürlich sofort in Toms Büro geflitzt. Er war ganz begeistert gewesen – genau wie sie. Es war witzig, dass ihre Unterhaltungen immer weitere Kreise zogen. Ein Thema führte zum nächsten und so weiter und so fort.
Mit Heather lief es ähnlich. Rachel war jetzt ein Jahr mit ihr zur Schule und wieder nach Hause gegangen, und jedes Mal hatte dasselbe Schema: Heather machte albernen Smalltalk über irgendwas Belangloses, aber Rachel griff das Thema am nächsten Morgen wieder auf, und ehe sie sich versahen, hatte sich zwischen ihnen ein richtiger Dialog entsponnen. Während sie so in der Frühlingssonne über den Schulhof schlenderte, kam Rachel ein Bild in den Sinn: Diese Unterhaltungen glichen einem Band, das jeden Tag länger und stärker wurde und sich zusehends mit ihrem Leben verknüpfte.
Eine Änderung in der Routine, und es würde natürlich sofort zerreißen. Sie würde wohl kaum für den Rest ihres Lebens mit Heather befreundet bleiben. Unvorstellbar. Es brauchte schon ein paar tiefsinnige Unterhaltungen, um mit jemandem eine engere Bindung einzugehen, doch das war mit Heather nicht möglich. Meine Güte, auf Dauer würden ihre Themen wohl jedem auf die Nerven gehen. Obwohl, wenn sie genauer darüber nachdachte, hatten sich ihre eigenen Gesprächsbeiträge nur um Sex mit Assistenzärztinnen gedreht, was ja auch nicht gerade tiefsinnig war. Trotzdem. Ihre Freundschaft mit Heather war nichts Festes. Wie eine Urlaubsromanze. Ohne Romantik. Und ohne Urlaub.
Sie lief über den stillen Flur zum Rektorat, um ihre zweite, unromantische und völlige harmlose Beziehung zu pflegen. In den Klassenzimmern war Ruhe eingekehrt. Sie wollte nur kurz reinschauen, um sich nach dem Verlauf der gestrigen Versammlung zu erkundigen, denn sie wusste, dass Tom deswegen nervös gewesen war. Das hatte er ihr erzählt, als sie ihm gestern ihr Exemplar von Antonia Byatts Besessen vorbeigebracht hatte. Am vergangenen Montag, als sie sich kurz über die Skizzen zur viktorianischen Zeit für die Bibliothek unterhalten hatten und
Weitere Kostenlose Bücher