Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
gleich, dass es so einfach nicht geht. »Das stimmt schon. Aber er ist ja auch nicht mehr der Jüngste«, versuche ich also zu argumentieren. »Wir könnten ihn ein wenig entlasten. Du weißt doch. Er ist immer etwas gestresst.«
»Ach, der soll sich nicht so anstellen!« Meine Mutter lacht.
»Wir werden es einfach mal ausprobieren. Was meinst du? Er kann dann morgens in aller Ruhe Kaffee kochen«, schlage ich ihr vor.
Aber meiner Mutter gefällt das gar nicht. Sie wirkt beleidigt, zieht die Augenbrauen hoch und entgegnet: »Ach, mach doch, was du willst.«
Damit ist das Thema für sie erledigt – für mich aber nicht. Ich nehme mir vor, an einem der nächsten Abende mit meinem Vater darüber zu reden.
Ein Pflegedienst kommt ins Haus
Ein paar Tage später, ich sitze im Wohnzimmer meiner Eltern, schneide ich wieder das Thema Pflege an. Den Antrag auf Pflegestufe 1 habe ich auf Anraten einer Freundin bereits vor ein paar Tagen an die Pflegeversicherung geschickt. Es ist mir nicht gelungen, mit meinem Vater allein darüber zu reden, dass morgens zum Waschen und Ankleiden eine Hilfe kommen muss. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mit beiden zu sprechen. Meine Mutter erinnert sich nicht mehr an das Gespräch einige Tage zuvor.
»Du hast überhaupt nicht mit mir darüber gesprochen«, sagt sie bestimmt. »Kein Wort! Das wüsste ich doch sonst!«
Ich will nicht mit ihr diskutieren. Mein Ziel ist ein ganz anderes. Ich will sie überzeugen, dass eine Pflegerin ihr guttut. Zu Hilfe kommt mir dabei, dass es gerade an diesem Morgen einen riesigen Krach zwischen meinen Eltern gab. Das habe ich am Nachmittag von der Haushaltshilfe erfahren. Mein Vater war außer sich, weil meine Mutter ihn ständig ins Bad rief, während er das Frühstück herrichten wollte. So habe ich mir eine Strategie zurechtgelegt.
»Schau mal, Mutti«, fange ich an. »Gerade heute früh hast du doch gesehen, dass du es leichter hast, wenn dir jemand beim Anziehen hilft. Vater ist da überfordert.« Ich rede mit Engelszungen auf sie ein.
Zur Bestätigung nickt mein Vater, sagt aber sonst nichts. Er scheint immer noch beleidigt zu sein. Seine Laune ist schlecht.
Meine Mutter sieht mich an. Sie wirkt traurig und verletzt. »Gut, wenn ihr meint!«, seufzt sie.
Ich bin erleichtert, auch wenn ich das Gefühl habe, meiner Mutter etwas aufzudrängen.
Gleich am nächsten Tag suche ich einen Pflegedienst über das Branchenbuch heraus. Eine Empfehlung habe ich nicht, deswegen basiert meine Entscheidung auf der örtlichen Nähe. Schon bei meinem ersten Telefonat bin ich überrascht. Die Mitarbeiter reagieren flexibel, sie versprechen, gleich am übernächsten Tag mit dem Dienst zu beginnen.
Zuvor führen wir ein Gespräch mit dem Leiter des Pflegedienstes und meinen Eltern. Am späten Nachmittag sitzen wir in deren Esszimmer. Meiner Mutter geht es an diesem Tag nicht besonders gut. Sie wirkt leicht abwesend und nimmt am Gespräch nicht richtig teil. Mein Vater ärgert sich darüber, denn es geht doch um sie, wie er meint. Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass wir dieses Problem gelöst haben. Der Pflegedienstleiter ist Profi und weiß, wie er mit der Situation umgehen muss. Einfühlsam erklärt er den Eltern, wie die Pfleger vorgehen. Sie wollen meine Mutter unterstützen und ihr bei den morgendlichen Verrichtungen helfen. Auf keinen Fall muss sie Sorge haben, dass sie bevormundet wird. Alles, was sie selbst kann, soll sie eigenständig erledigen. Die Pfleger helfen nur, wo es nötig ist.
Als ich den Leiter nach draußen begleite, sagt er: »Machen Sie sich keine Sorgen. Die Pflegerinnen haben Erfahrung mit den unterschiedlichsten Patienten. Auch Ihre Mutter wird sich daran gewöhnen.«
Obwohl seine Worte tröstlich klingen, bin ich nicht sicher, ob er recht behalten wird. Er kennt ja meine Mutter nicht. Mir erscheint sie in letzter Zeit ziemlich eigensinnig.
Aber nicht nur auf dieser Ebene spitzt sich die Situation zu. Auch geschäftlich ist es in letzter Zeit immer schwieriger geworden. Unser Schulungscenter musste der stark wachsenden Konkurrenz standhalten, und der finanzielle Druck wuchs immens, deshalb haben wir uns für den Verkauf entschieden. Schon seit Langem treffe ich mich immer wieder mit Interessenten, stelle Unterlagen zusammen und führe Gespräche mit der Bank. Jetzt haben wir endlich einen seriösen Käufer gefunden. Wir haben gerade noch die Kurve bekommen. Ein großer Bildungsträger übernimmt mein Schulungscenter und engagiert
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