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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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mich als Leiterin der Niederlassung.
    Das alles läuft parallel zu den täglichen Problemen, die sich durch die schwierige Situation mit meinen Eltern ergeben. Für mich bedeutet das, ich kämpfe nicht nur an einer Front, sondern an sehr vielen gleichzeitig. Damit ich mich beruflich weiterentwickeln kann, habe ich auch noch vor Kurzem ein Fernstudium für Betriebswirtschaft gestartet – es scheint mir wichtig für unsere Existenzsicherung. Wer weiß, wie lange ich meine momentane Stelle als Leiterin des Bildungszentrums halten kann. Die Auftragslage ist nicht immer gut. Gleichzeitig ist die zusätzliche zeitliche Belastung durch das Studium, meist abends, recht groß.
    Durch den Pflegedienst erhoffe ich mir etwas Entlastung.
    Zwei Tage später ist es so weit, zum ersten Mal kommt eine Pflegerin ins Haus. Ich halte mir die Zeit frei, um dabei zu sein. Ausgemacht war, dass sie gegen halb neun eintrifft, um neun Uhr ist sie immer noch nicht da. Meine Mutter hat sich mittlerweile mit meiner Hilfe im Morgenmantel an den Frühstückstisch gesetzt.
    »Wieso kann ich mich nicht anziehen?«, wettert sie. »Was soll das alles?«
    Meine Erklärungen laufen ins Leere. Sie begreift nicht, was um sie herum passiert. Längst hat sie den Überblick in ihrem Leben verloren. Mein Vater ist ebenfalls verärgert. Ob es wegen der Verspätung ist oder es mit dem Gezeter meiner Mutter zusammenhängt, weiß ich nicht. Aber er brummelt ständig mit zusammengezogenen Augenbrauen irgendetwas vor sich hin. Als endlich die Türglocke läutet, ist die Spannung schon auf Hochtouren.
    Eine sympathische Frau mittleren Alters schüttelt mir die Hand. »Entschuldigen Sie bitte!«, redet sie fröhlich darauf los. »Wir können nicht immer genau sagen, wie lange es dauert. Und bei der Dame heute früh war ich etwas länger im Einsatz.«
    Sie geht schnurstracks an mir vorbei in die Wohnung meiner Eltern und stellt sich gleich selbst vor. Ich zeige ihr das Badezimmer sowie die Sachen meiner Mutter. Nachdem sie alles begutachtet hat, nimmt sie meine Mutter mit ins Bad. Vater und ich können hören, wie sie freundlich auf Mutter einredet. Was sie genau sagt, hören wir allerdings nicht.
    Als die Pflegerin meine Mutter kurze Zeit später angezogen und gewaschen mit dem Rollstuhl ins Esszimmer schiebt, sehe ich deren finsteren Blick. Ich verabschiede die Hilfe dennoch mit der Gewissheit, dass die Morgenhygiene ab heute gesichert ist. Auf mich hat die Frau einen sehr netten und kompetenten Eindruck gemacht. Wieder zurück in der Wohnung der Eltern, konfrontiert mich meine Mutter gleich mit einem bitterbösen Vorwurf.
    »Dass du das zugelassen hast! Das verzeihe ich dir nie!«, herrscht sie mich an.
    »Was meinst du denn?«, frage ich völlig erschrocken.
    »Sie hat mich im Intimbereich gewaschen. Das ist so entwürdigend.«
    Meine Mutter ist stocksauer. Ich fühle mich elend in meiner Haut. Aber hatte ich eine andere Wahl? Ich musste doch diese Entscheidung treffen. Bedrückt und ohne weitere Worte gehe ich zum Auto, um zur Arbeit zu fahren. Ich kann mir vorstellen, dass es für sie nicht einfach ist. Vor allem, weil sie selbst gar nicht wahrnimmt, dass sie Hilfe braucht. Für sie ist das alles völlig unverständlich.
    Während der Fahrt beruhige ich mich mit dem Gedanken, dass sie sich bestimmt noch daran gewöhnen wird.
    Der Zerfall meiner Mutter schreitet immer mehr voran. Kaum habe ich die Haushaltshilfe gefunden, den Pflegedienst für morgens organisiert, reicht es schon nicht mehr. Bisher hat mein Vater ihr immer abends geholfen, das Nachthemd anzuziehen. Aber meine Mutter wird immer störrischer, schnauzt ihn an, und es gibt nun ständig Krach zwischen den beiden.
    Als ich zufällig eines Abends an ihrer Wohnungstür vorbeigehe, höre ich sie streiten. Mein Vater ist ganz offensichtlich verzweifelt, weil er es seiner Frau nicht recht machen kann. Ich höre nur Bruchstücke von seinen wütenden Worten, wie »Dann mach es doch allein« oder »So einen Deppen findest du eh nicht mehr«.
    Das kann ich nicht ignorieren. Ich möchte doch so gern, dass meine Eltern einen Weg finden, das Schicksal zu akzeptieren. Mein Vater muss lernen, die Krankheit meiner Mutter anzunehmen, und vor allem muss er mehr Geduld für sie aufbringen. Den Streit, der unter Umständen droht zu eskalieren, kann ich nicht ignorieren. Es ist unmöglich, jetzt in unsere Wohnung zu gehen und den beiden nicht zu helfen. Das käme meines Erachtens einer unterlassenen Hilfeleistung

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