Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
sie zufriedenstellen. Sie ist immer mit ihren Fingern auf der Suche. Ein Glück, dass es diesen Fahrdienst gibt. Den Transport hätte ich allein nie geschafft.
Kaum sind wir angekommen, werden wir sehr nett empfangen. Ich fahre meine Mutter im Rollstuhl an einen Tisch, der mit Blumen dekoriert ist. Gerade ist Kaffeeund-Kuchen-Zeit. Es sitzen einige Heimbewohner hier, die alle einen sehr verwirrten Eindruck auf mich machen.
»Schau mal, Mutti! Wir kommen an, und gleich gibt es Kaffee und Kuchen«, versuche ich sie aufzumuntern.
Ich reiche ihr eine Tasse Kaffee. Mit einer unwirschen Handbewegung wischt sie die Tasse weg. Ich kann gerade noch rechtzeitig ausweichen, außer einer Pfütze auf der Untertasse passiert nichts weiter.
»Mutti! Was machst du denn?«, frage ich sie leicht gereizt.
So langsam ist meine Geduld für diesen Tag zu Ende. Wo ist denn überhaupt die nette Pflegerin geblieben, die uns auf die Station begleitet hat? Ich drehe mich um, sehe aber niemanden, der einem Mitarbeiter ähnelt.
»Halloooo!«, ruft meine Mutter. »Hallo!«
Die Tischnachbarn reagieren nicht. Wahrscheinlich ist es für sie nicht neu, dass hier ständig jemand »Hallo« ruft.
»Ich bin doch hier!«, sage ich beruhigend.
Aber sie sieht mich gar nicht an und ruft weiter. Jetzt ist es an der Zeit, dass ich mich auf die Suche begebe. Irgendwo muss es doch ein Schwesternzimmer geben, denke ich. Tatsächlich finde ich es ein paar Schritte weiter. Dort sortiert eine Pflegerin gerade Tabletten in Tagesboxen.
»Hätten Sie vielleicht mal kurz Zeit für uns?«, frage ich.
»Ich komme, sobald ich hier fertig bin«, verspricht sie mir.
Und ich denke bei mir, dass ich, sobald sie kommt, das Weite suchen werde. Wie kann sie das hier aushalten? Auf dem Gang und in den Zimmern hört man immer wieder jemanden rufen. Ich beobachte eine Frau, die ständig hin und her rennt und manchmal in der Ecke wie versteinert stehen bleibt. Obwohl mir bewusst ist, dass meine Mutter ebenso verwirrt und krank ist wie diese Menschen hier, scheint es mir falsch, sie hierzulassen. Die Pfleger, die auf der Station anscheinend nur zu zweit sind, haben viel weniger Zeit für meine Mutter als die Pflegerin zu Hause. Wie kann das gehen?, frage ich mich. Im gleichen Moment erinnere ich mich aber daran, dass die Situation zu Hause für uns nicht mehr erträglich war und ich deswegen mit meiner Mutter hier bin.
Als ich neulich auf der Straße eine Bekannte traf und ihr von der geplanten Kurzzeitpflege erzählte, sagte sie zu mir: »Meist dauert es ja nicht mehr lange, wenn jemand ins Heim kommt.«
Nachdem ich sie mit einem vermutlich ahnungslosen Gesicht ansah, ergänzte sie ihren Satz, indem sie die Sache auf den Punkt brachte: »Das mit dem Sterben, meine ich.«
Ach, das meint sie!, dachte ich.
Ich bringe also meine Mutter in die Kurzzeitpflege und hoffe, dass sie dort stirbt? Ist es das, was die Gesellschaft tatsächlich denkt?
Ein lang gezogenes »Hiiiilfe« reißt mich aus meinen Gedanken. Ich gehe zurück zum Kaffeetisch und sehe, wie eine Pflegerin sich ebenfalls auf den Weg zu meiner Mutter macht. Sie erreicht sie vor mir und beugt sich zu ihr hinunter: »Kommen Sie. Ich zeige Ihnen mal das Zimmer«, sagt sie sehr lieb zu ihr.
»Gut, Mutti. Ich gehe jetzt, okay? Erhol dich gut hier. Morgen komme ich dich besuchen!«
Erhol dich gut hier! Wie das klingt! So falsch! Alles erscheint mir in diesem Moment falsch. Und doch halte ich daran fest: Es ist der richtige Weg!
Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht sie mich an. Ihr Gesicht hat einen fragenden Ausdruck. In diesem Moment habe ich das Gefühl, sie ist hellwach und weiß ganz genau, was ich noch kurz zuvor gedacht habe. Sie weiß, dass ich sie am liebsten nicht besuchen würde und dass es mir noch lieber wäre, ich bräuchte sie gar nicht mehr zu sehen.
Schnell drücke ich ihre Hand und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
»Tschüss, Mutti!«, sage ich noch und drehe mich um.
Niemand soll sehen, wie sich meine Augen mit Tränen füllen. Was bin ich doch für eine miserable Tochter. Es tut mir so leid, und ich schäme mich für meine geheimsten Gedanken. Sie ist doch meine Mutter.
Lange kann ich nicht nachdenken, denn schon unten an der Ausgangstür spricht mich eine Mitarbeiterin an: »Haben Sie eigentlich eine Vollmacht oder die gesetzliche Vertretung für Ihre Mutter?«, fragt sie.
»Was?«, erwidere ich erstaunt. »Äh … was meinen Sie damit?«
Sie erklärt mir, dass Menschen, die selbst nicht
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