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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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uns darauf, dass ich ihm jede Woche einen festen Betrag bringe. Das erspart ihm, mich darum zu bitten, und wir haben einen Überblick, wie viel Geld im Umlauf ist. Doch bei jeder Geldübergabe kommt ein bissiger Kommentar von ihm. Er kann sich nicht mit seiner Situation abfinden und fühlt sich nach wie vor bevormundet, obwohl ich ihm doch nur helfen will.
    Würde wahren
    Für Tessa kommt Tanja, die ebenfalls ins Dachgeschoss zieht. Die Agentur schickt sie aus Polen zu uns. Tanja spricht wenig deutsch, lächelt aber viel. Ihre Familie einschließlich ihrer sechzehnjährigen Tochter leben in Polen, erfahre ich.
    Mein Vater ist zunächst skeptisch, weil es wieder ein neues Gesicht ist. Er mochte Tessa gern und ist frustriert über ihr »Verschwinden«, wie er es nennt. Dass sie gegangen ist, weil sie die Belastung nicht mehr ertragen hat, ignoriert er. Seiner Meinung nach hat sie genug Geld verdient und will jetzt Urlaub machen. Aber für mich spielt das keine Rolle, was er glaubt. Hauptsache, er kommt mit Tanja zurecht.
    Schon nach wenigen Tagen stelle ich fest, dass Tanja mehr Sehnsucht nach ihrer Heimat hat, als den Wunsch, sich einzuleben. Endlose Telefonate mit ihrem Handy strapazieren meine Nerven und die meines Vaters. Während sie sich mit einer Hand das Telefon ans Ohr hält, kocht sie mit der anderen das Mittagessen.
    An diesem Nachmittag, ich bin im Garten, sehe ich zufällig, wie Tanja durch das offene Küchenfenster gelehnt mit zwei Freundinnen plaudert. Offenbar stammen sie aus der gleichen Gegend in Polen, aus der sie kommt. Die beiden stehen mit dem Rücken zu mir und sehen mich nicht. Als ich um die Ecke des Hauses biege und einen Blick in das Wohnzimmer der Eltern erhasche, bin ich schockiert. Meine Mutter sitzt dort mit heruntergezogener Hose auf dem Toilettenstuhl.
    Eine unglaubliche Wut befällt mich. Wie kann die Pflegerin auf der anderen Seite der Wohnung mit Freundinnen plaudern und meine Mutter auf dem Toilettenstuhl in solch entwürdigender Haltung sitzen lassen? Mein Vater ist nicht im Raum.
    Ich laufe wieder um das Haus herum und mache mich bei den Damen, die immer noch am offenen Fenster reden, bemerkbar. »Tanja, meine Mutter braucht Hilfe«, sage ich ungehalten. Sofort verstummt das Gespräch. Alle sehen mich an, aber keiner weiß, was ich will. Ich deute mit der Hand in Richtung Wohnzimmer und rufe lauter, als ich vorhabe: »Meine Mutter braucht Sie!«
    Jetzt begreift Tanja, was ich von ihr will. Sie verabschiedet ihre Freundinnen und verschwindet. Ich bleibe indessen stehen und sehe den beiden Frauen hinterher. Sie sehen sich noch zweimal um und tauschen vielsagende Blicke aus. Wenn ich jetzt bei ihnen Unbehagen ausgelöst habe, soll mir das nur recht sein. Ich will nicht, dass fremde Leute bei meinem Eltern ein- und ausgehen. Das ist immer noch ihre Wohnung.
    Ich habe fest vor, am nächsten Tag mit Tanja über die unmögliche Situation für meine Mutter zu sprechen. Es muss doch klar sein, dass sie ein Recht auf ihre Intimsphäre hat. Doch kaum bin ich in der Wohnung angekommen, auf der Suche nach Tanja, sitzt meine Mutter schon wieder mitten im Wohnzimmer auf dem Toilettenstuhl. Dieses Mal ist mein Vater anwesend, wirkt aber äußerst unglücklich. Wie muss es ihm in einer solchen Situation ergehen?
    »Tanja!«, rufe ich. »Wo sind Sie denn?« Sie eilt von der Terrasse in die Wohnung und grinst mich an.
    »Warum kann meine Mutter nicht im Bad auf dem Toilettenstuhl sitzen?«, frage ich.
    Ich bin nicht sicher, ob Mutter das mitbekommt, aber es spielt auch keine Rolle. Jeder Mensch, egal in welchem Zustand er sich befindet, hat ein Recht darauf, dass seine Würde gewahrt wird. Tanja scheint diesbezüglich nicht besonders sensibel zu sein, zeigt sich aber einsichtig. Trotzdem lässt es sich nicht mehr verhindern, dass sie mir ab sofort unsympathisch ist.
    Am gleichen Abend noch bespreche ich mit Jens die Lage. »Die beiden tun sich nicht gut«, erkläre ich. »Mutter bräuchte mehr Halt, und Vater müsste mal wieder entspannen, was ihm neben Mutter nicht gelingt.«
    Nur wie können wir sie voneinander trennen? Nach über fünfzig gemeinsamen Ehejahren ist das kaum vorstellbar. Meine Güte! Was ist nur aus ihnen geworden! Ich verdränge sofort wieder den Gedanken und konzentriere mich auf die Sache.
    Nach längerem Hin und Her zeichnet sich ein Plan ab. Ich will meinen Vater überreden, meine Mutter in die Kurzzeitpflege zu geben, damit alle, insbesondere er, wieder zur Ruhe kommen.

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