Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
keinen Schimmer, wie sehr es nervt, dass mein Vater jeden Tag an der Tür steht und schlecht gelaunt sein »Morgen« brummelt.
»Wenn ich es mir so recht überlege, dann sieht das überhaupt niemand, was wir hier aushalten müssen. Und ich frage mich: Warum halten wir es überhaupt noch aus?«
Die Frage bleibt im Raum stehen. Die Antwort ist zu simpel. Es sind meine Eltern, die ich pflegen muss. Jetzt komme ich da nicht mehr raus.
Oder doch?
Es ist Wochenende, und ich liege mal wieder krank im Bett. Es ist nun schon das vierte Mal in diesem Jahr, dass aus einem Schnupfen eine eitrige Stirnhöhlenentzündung wurde und ich Antibiotika nehmen muss. Der Arzt meint, mein Immunsystem sei nicht ganz in Ordnung. Woher das kommt, weiß er auch nicht. Ich jedoch ahne es. Immer mehr beginne ich zu begreifen, dass meine Lebenssituation mich krank macht.
Jens bemüht sich sehr und geht täglich zu den Eltern in die Wohnung. Seine Unterstützung führt dazu, dass ich das nicht mehr jeden Tag tun muss. Aber es bringt nicht die erhoffte Entspannung. Manche Dinge, wie die regelmäßigen Gespräche mit den Pflegern, kann nur ich selbst erledigen, und ob ich will oder nicht, ich sehe die Wohnung meiner Eltern täglich. Ständig werde ich an die schwierige Situation der beiden erinnert: an den Geruch, die Geräusche, das Umfeld … Ich erkenne, dass es Zeit wird zu handeln.
Jens und ich fangen an, den Wohnungsmarkt zu beobachten. Schon bald wird klar, dass es nicht so einfach ist, mit Kind und Hund in der Nähe eine passende Wohnung zu finden.
»Vielleicht sollten wir auswandern«, schlage ich eines Tages vor. »Wie wäre es mit Kanada?«
Jens erkennt gleich, dass ich es ernst meine, und ist entsetzt. »Geht es nicht noch etwas weiter weg?«, fragt er.
»Wieso? Ich finde, wenn schon weg, dann richtig!«
Ich habe das dringende Bedürfnis, viel Abstand zwischen mich und meine Eltern zu bringen. Einige Tage müssen Jens und Lena sich mit mir und meiner Idee auseinandersetzen. Ein Buch über Kanada soll die beiden überzeugen. Doch nichts hilft, sie wollen nicht weg aus Deutschland.
»Ich gehe doch nicht in ein Land, in dem es Bären gibt!«, ruft Lena. »Nie und nimmer!«
Irgendwann gebe ich es auf und streiche Kanada. Das Buch wandert ins Regal und wird nie wieder herausgeholt. Ich werde ein anderes Ziel für meinen Frieden suchen müssen.
Jetzt reicht’s!
Jens ist für ein paar Tage geschäftlich unterwegs, weswegen ich morgens ziemlich im Stress bin. Aufstehen, Frühstück machen, Lena antreiben, schnell mit dem Hund eine Runde laufen und zu guter Letzt noch eine Tasse Kaffee schlürfen. Etwas zum Frühstücken will ich mir unterwegs kaufen. Dafür habe ich keine Zeit mehr. Schnell räume ich das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine, bevor wir gehen. Ich hasse es, wenn es mittags noch herumsteht.
Auf einmal höre ich laute Geräusche von unten. Was war das denn?, denke ich.
»Lena! Beeil dich bitte. Wir müssen gleich los«, rufe ich in Richtung Kinderzimmer.
Dann höre ich, wie unten im Schlafzimmer die Rollos hochgezogen werden. Das darf doch nicht wahr sein! Wer macht denn so was? Die Pflegerin ist heute nicht im Haus. Sie kommt erst gegen acht Uhr. Eigentlich kein Problem, weil Mutter normalerweise so lange schläft. Aber wenn sie früher aufgeweckt wird, dann wird es schwierig. Ich sehe auf die Uhr. Wir haben noch fünfzehn Minuten.
»Lena, mach dich bitte fertig! Ich schau mal kurz, was da los ist bei Oma und Opa, okay?«, sage ich und sause schnell nach unten. Vor der Tür verharre ich kurz und lausche.
Ich höre die Stimme meines Vaters im Schlafzimmer. Mist, denke ich. Was mache ich denn jetzt? Es nützt nichts, ich muss nachsehen. In der letzten Zeit hat mein Vater öfter aggressive Züge gezeigt. Nicht, dass er meine Mutter körperlich angegriffen hätte, aber er zerrt an ihr herum oder versucht sie von A nach B zu bringen. Ich habe dabei immer Angst, dass sie stürzen und sich verletzen. Oft versteht meine Mutter gar nicht, was ihr Mann von ihr will, und sieht ihn nur ganz erschrocken an. Sie tut mir so unendlich leid, weil sie dann seinen Aktionen hilflos ausgesetzt ist. Es ist mir also unmöglich, das Vorgehen im Schlafzimmer der Eltern zu ignorieren.
Ich betrete die Wohnung. Mein Vater steht am Bett der Mutter und drückt sie immer wieder zurück auf das Kissen.
»Bleib liegen!«, sagt er energisch.
»Warum hast du denn das Rollo hochgezogen?«, frage ich.
»Weil es hell ist. Zeit zum
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