Muttergefuehle
perfektioniere meine »Interessiert gucken, aber nichts hören«-Technik, damit mein Sohn auch weiter alles tausendmal sagen kann, ohne dass er das Gefühl bekommt, er langweilt mich.
Hast du Kacka gemacht?
Der Verzicht auf jegliches Schamgefühl.
Als ich im Geburtsvorbereitungskurs tönen sollte, war mir das so peinlich, dass ich gekichert habe wie eine pubertierende Vierzehnjährige. Weil Tönen in diesem Fall eben nicht Rumprotzen oder Angeben bedeutete. Vielmehr sollten wir mindestens sechs Minuten die Arme vom Körper strecken und beim Ausatmen laut Töne singen, zum Beispiel die Buchstaben Aaaaa oder Oooooo. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis ich mich durch die Vokale singen konnte, ohne zu lachen oder mit den Augen zu rollen, und ich war mir nach dieser Übung hundertprozentig sicher, dass ich bei der Geburt nicht einen Piep machen würde, weil das einfach total peinlich ist. Das Gegenteil sollte natürlich der Fall sein. Mit der Geburt bekam ich nämlich nicht nur ein Kind, sondern auch meine Eintrittskarte in eine neue Welt, in der meine Hemmschwelle für Peinlichkeiten niedriger ist als die eines Nacktradlers. Als Erstes war mir völlig egal, dass ich unter den Wehen das ganze Krankenhaus zusammenbrüllte, nachdem das Tönen als Schmerzveratmung nicht mehr ausreichte (nachträglich möchte ich mich bei allen Müttern entschuldigen, denen mein Gebrüll Angst eingejagt hat). Und nach der Geburt fing ich an, mit meinem Sohn zu sprechen, und zwar bereits in einer Phase, in der zwischen seinen Ohren so viel los war wie im Bücherregal von Claudia Effenberg. Ich schob ihn durch die Gegend und redete und redete. »So, mein Hasenkind, jetzt holen wir noch schnell etwas Milch, und dann fahren wir nach Hause, da ziehen wir unseren Schlafanzug an und machen es uns richtig gemütlich.« Mein Kind hat wahrscheinlich nur »ogäääbluuumüüü« verstanden, und die Leute, an denen ich vorbeischob, wahrscheinlich so etwas Beängstigendes wie »Ich trage am liebsten Windhosen und sammle Katzenhaare in einem alten Lakritz-Karton«. Mir war es egal, und bis jetzt rede, singe und spacke ich herum, als wollte ich eine Einweisung provozieren. Ich mache den MC-Hammer-Tanz. Ich haue mir mit einem blinkenden Hammer auf den Kopf und falle dann schielend um, ich singe mindestens vierzigmal hintereinander den BiBaButzemann, GulliRamsamsam und Co. (alle mit dazugehörigen Moves), ich rülpse für meinen Sohn, oder ich jage ihn laut brüllend durch den Supermarkt. Und ich liebe es. Wenn er erst lachend vor mir wegläuft und wir uns dann beide mit Tigergebrüll in die Arme laufen, macht mich das so glücklich, dass ich noch viel beknacktere Dinge tun würde, Hauptsache, er lacht noch mal so glucksig.
Vor seiner Geburt fand ich die Eltern, die sich für ihre mittelmäßig niedlichen Kinder überverliebt zum Horst machten, nur peinlich. Heute bin ich selber so ein Horst und freue mich über alle weiteren, weil das bedeutet, dass noch mehr normale Kinder wie das Besonderste geliebt werden.
Es gibt nur eine Sache, die mir richtig peinlich ist: Wenn ich meinen Sohn in der Öffentlichkeit nach seinem Stuhlgang fragen muss. Und zwar, weil mir das richtige Vokabular fehlt. Ich schwanke zwischen »Hast du gekackt?« und »Hast du Kacka gemacht?«.
Als meine Mutter einmal zu Besuch war und ich meinen Sohn gefragt habe »Hast du gekackt?«, entgegnete sie mir pikiert, dass Hunde sehr wohl kacken, aber ihr Enkel ganz bestimmt nicht. Und irgendwie hat sie auch Recht. Aber »Hast du Kacka gemacht?« finde ich noch schlimmer, diesen Satz kriege ich nicht über die Lippen, wenn andere Menschen dabei sind. Deshalb wähle ich immer die nonverbale Methode, bei der nicht ich, sondern die anderen sich (fremd)schämen: Ich schnappe mir meinen Sohn und rieche beherzt an seiner Windel.
Total peinlich. Na und?
• Schlimme Kinderlieder, abgespackte Tänze und Co. sind eine tolle Übung, sich nichts aus der Meinung anderer Leute zu machen.
• Mir ist es wichtiger, mein Kind glücklich zu machen, als in das Schema augenrollender Menschen zu passen, die ich sehr wahrscheinlich nie wiedersehen werde.
• Mein Kind ist das perfekte Alibi dafür, mich völlig beknackt benehmen zu können.
• Wer meine Peinlichkeiten wirklich peinlich findet, der kann nicht nur mein Kind nicht zum Lachen bringen, sondern mich auch nicht.
Noch viereinhalb Stunden bis zur Schlafenszeit.
Der Fluch, die Zeit rumzukriegen.
Es ist vier Uhr. Ich habe meinen Sohn vom Tagesvater
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