Muttergefuehle
auszieht. Das mag vielleicht egoistisch klingen, ist aber durchaus gut fürs Allgemeinwohl. Ausgeschlafen könnte ich nämlich meinen Beitrag für eine bessere Welt leisten, wohingegen ich es müde nicht einmal schaffe, meine kleine Dreierfamilie vor Hunger (einkaufen vergessen) oder Krieg (Mann twittert, statt das Kind zu wickeln) zu schützen.
Keine Frage, das Allerallerschlimmste am Muttersein ist für mich der Schlafmangel. Ich werde nach nur zwei unruhigen Nächten zum Zombie, ich denke nur noch Brei, und zwar sehr dummen Zeitlupenbrei, ich kann mir überhaupt nichts mehr merken, meine Augen brennen und sind heiser, weil sie immerfort » ZUMACHEN « schreien. Ab diesem Zeitpunkt ist jede folgende Nacht für mich keine Insel der Erholung, sondern ein Acht-Stunden-Aufenthalt in einem komplett verminten Krisengebiet, in dem ich nie weiß, wann die nächste Explosion folgt.
Dabei fing alles so gut an. Mein Sohn schlief schon mit ein paar Wochen durch, was ich taktvollerweise vor anderen Müttern, mit denen ich nicht gut befreundet war, nie erwähnte. Wir gewöhnten uns schnell daran, dass wir ihn abends in sein Bett legten, er einschlief und morgens wieder aufwachte (dass wir befürchteten, er würde genau dies nicht mehr tun, ist ein anderes Thema). Alles war gut.
Dann wurde er ständig krank. Ein Infekt jagte den nächsten, und harte, spitze Zähne pressten sich durch sein Zahnfleisch. Irgendwas war immer. Also saßen wir nachts mit Baby auf dem Schoß im Kinderzimmer und schaukelten, trösteten und kuschelten, bis das Kind wieder gesund war. Weil aber auch das gesundete Kind diegleiche VIP -Behandlung erwartete, wir aber nicht jede Nacht aufstehen wollten, hatten wir ein Problem. Zweimal lösten wir es mit einer abgeschwächten Form der »Jedes Kind kann schlafen lernen«-Methode.
Betretene Stille bei der Leserschaft? Wahrscheinlich. Dieses Buch ist schließlich ein echtes Reizthema! Die einen rufen »Misshandlung!« und die anderen »Bei uns hat es aber geklappt!«. Ich rufe allen zu: »Lasst euch doch einfach alle in Ruhe!« Diese Methode passt nicht zu jedem Kind und auch nicht zu allen Eltern, aber bei den Eltern, die sie konsequent und authentisch durchziehen können und das passende Kind dazu haben, kann es funktionieren. So wie bei uns: Ist der Sohn aufgewacht, bin ich in sein Zimmer gegangen, habe ihm gesagt, dass alles gut ist, ich ihn lieb habe und er allein wieder einschlafen soll. Dann bin ich wieder rausgegangen. Hat er nach fünf Minuten noch gebrüllt, bin ich wieder rein und habe das Gleiche noch mal gemacht. Und das so lange, immer alle fünf Minuten, bis er sich wohl irgendwas gedacht hat in der Art: »Wie langweilig ist DIE denn? Da schlaf ich lieber.« Wie gesagt, bei ihm hat es gut funktioniert, und auch wenn ich bei seinem Gebrüll meistens heulend im Nebenzimmer saß, dachte ich mir: Lieber zwei Nächte die Hölle als zwei Jahre. Und er hat tatsächlich beide Male nicht länger als zwei Nächte gebraucht, nie länger als eine Stunde gemeckert und danach durchgeschlafen. Während ich das hier aufschreibe, schäme ich mich dafür, aber ich weiß noch, wie gut es sich anfühlte, diesen »Kampf« gewonnen zu haben.
Inzwischen habe ich allerdings schon lange wieder verloren. Ich kann ihn nämlich nicht mehr weinen lassen. Wenn wir tagsüber Streit haben und er wütet, habe ich kein Problem damit, ihn beim Toben zu ignorieren oder auch mal in sein Zimmer zu setzen, damit er sich beruhigt, aber nachts muss er nur »Öh!« sagen, und schon stehe ich an seinem Bett. Ist sein Schnuller rausgefallen, komme ich und hebe ihn auf, obwohl im Bett noch zwei weitere liegen und er sogar einen im Mund (!) hat. Und wenn er richtig weint, kann ich es überhaupt nicht aushalten. Was ist mit mir passiert? Jeden Tag mehr Liebe, das ist passiert. Und Infekte. Und Eckzähne.
Jetzt machen wir es also nicht auf die harte Tour, sondern auf die langfristige, anstrengende. Wir teilen uns die Nächte auf, einer schläft immer gleich unten beim Kind, damit der andere die Nacht durchschlafen kann. Das ist nur halb gut für die Romantik. Deshalb schlafen wir manchmal doch beide oben, dafür aber sehr verhackstückelt, was wiederum nur halb gut für die Stimmung am nächsten Tag ist. Manchmal nehmen wir den Sohn auch mit in unser Bett, dann liegt er entweder auf meinem Gesicht oder spielt menschlicher Kreisel. Das ist gar nicht gut.
Wenn das Kind so schlecht schläft, trinke ich tagsüber zu viel Kaffee. Ab einer
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