Muttergefuehle
natürlich um die Erziehung und Freizeitgestaltung unseres Sohnes. Manchmal machen wir Musik, er spielt auf seiner roten Ukulele, ich bekomme seine Benjamin-Blümchen-Plastikgitarre, und wir beide singen dazu immer, immer wieder »Melone. Melone«. Manchmal lasse ich ihn ferngucken, weil ich lieber noch ein bisschen dösen möchte. Manchmal erkläre ich ihm vierzigmal geduldig, dass er nicht mit Essen werfen soll. Manchmal brülle ich ihn an. Ich bin ganz normal, und ich finde, ich bin eine gute Mutter. Nun ist es aber in Deutschland derzeit ja so, dass Mütter nicht gut und normal sein dürfen, sondern perfekt und überengagiert sein müssen. Und obwohl ich mit mir und meinem Erziehungskonzept zufrieden bin, bereiten mir die Ansagen der »neuen« Mütter, die eben nur noch und komplette und aufopfernde Mütter sein wollen, ziemliche Schuldgefühle. Vielleicht, weil dieses Konzept der Mutterschaft von seinen Vertreterinnen am vehementesten verteidigt wird und sie nichts anderes neben sich dulden.
Wie gut, dass es Mütter gibt, die sich einen Scheiß darum kümmern. Heute Morgen zum Beispiel hat mir eine unbekannte Mutter fröhlich erzählt, dass bei ihnen morgens statt Radio MTV oder VIVA läuft und ihre Tochter dazu prima tanzen kann. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, dieser Frau nicht um den Hals zu fallen und ihr für ihre grandiose Unbedarftheit mein Auto zu schenken. Denn ich traue mich nicht, einfach so das Video von meinem Sohn zu zeigen, in dem er prima tanzt, weil auf ihm eindeutig zu erkennen ist, dass wir bei Burger King sind.
Ach, wie glücklich wäre ich, wenn ich es endlich schaffen könnte, meine Verunsicherung angesichts einer Einstellung abzulegen, die ich nicht einmal teile. Ich habe zum Beispiel oft ein schlechtes Gewissen, weil mein Sohn in der Krippe ist, dabei will ich ja überhaupt keine Vollzeitmutter sein, ich will unbedingt arbeiten. Ich brauche diese Momente, in denen ich nicht Mutter bin, sondern jemand, der für einen Job gebucht ist und dafür bezahlt wird. Manchmal sitze ich in irgendwelchen Meetings und freue mich einfach nur darüber, dass ich dort sitzen kann. Es macht mich glücklich, mir Dinge auszudenken und zu schreiben. Dieses Glücksgefühl, wenn ich eine Idee formuliere, ist eines, das ich mit meinem Kind nicht habe. Manchmal ruft mittendrin der Tagesvater an und sagt, ich muss den Sohn abholen, weil er gespuckt hat. Dann muss ich schnell wieder die Mutter sein, die umdisponiert, weil der Mann den besser bezahlten Job hat und fast nur aus geschäftlichen Gründen sein Büro verlassen kann. Wenn unser Sohn krank ist, bin ich in mindestens 95 Prozent aller Fälle für alles verantwortlich, was damit zusammenhängt: Job absagen, umorganisieren, zu Hause bleiben, Kind pflegen, Arztbesuche usw. Als Freiberuflerin habe ich manchmal das Glück, dass ich in diesen Situationen gerade keinen Job habe. Aber eigentlich wird das Kind fast immer krank, wenn ich gerade das erste Mal für einen neuen Auftraggeber arbeite, der sich dann zweimal überlegt, mich noch einmal zu buchen, weil es mit mir immer die Elf-Kilo-Unbekannte mit einer Infektwahrscheinlichkeit von 70 Prozent gratis dazu gibt. Und dabei hatte ich noch gar nicht erwähnt, dass in meiner Branche halbtags arbeiten ungefähr so häufig ist wie Bindehautentzündung unter Regenwürmern. Beruf geht also auch nicht hundertprozentig. Aber ich mache weiter, weil es mir Spaß macht und weil mir wichtig ist, dass ich zumindest ein bisschen unabhängig bleibe und finanziell nicht ganz so dumm aus der Wäsche gucke, wenn mein Mann mich irgendwann für seine zehn Jahre jüngere Kollegin verlässt, womit wir auch schon beim nächsten Punkt wären. Als würden dieser dogmatische Mutterquatsch und die Probleme als berufstätige Mutter nicht reichen, gibt es für mich noch ein anderes Thema: meine (Selbst-)Wahrnehmung als Frau. Vor ein paar Tagen chattete ich mit einem Freund. Er: »Meine neue Freundin ist zwanzig Jahre jünger als du.« Sie ist vierzehn? Konnte ich mir nicht vorstellen. Moment mal, hatte er mich gerade sechs Jahre älter gemacht? » ICH BIN ERST VIERUNDDREISSIG, DU VOLLARSCH «, dachte ich wutschnaubend, aber bevor ich etwas entgegnen konnte, kam mit seiner Wiedergutmachung der nächste Schlag ins Gesicht: »Für eine Mutti hast du dich wirklich gut gehalten.«
Seit ich ein Kind habe, trippel ich nicht mehr allein mit Stiefelchen und knallengen Jeans durch die Gegend, sondern schleppe meistens ein Kind, einen
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