Mutterliebst (German Edition)
Ohr. Daraufhin wirbelt er herum und schlägt sie mit der flachen Hand so hart ins Gesicht, dass sie beinahe vom Stuhl fällt.
„Jonas!“, schreit Marianne. Sie bedeckt ihre hochrote Wange mit einer Hand, so als wolle sie auf diese Weise weitere Schläge abwehren. Ein Pfleger taucht auf, zerrt Jonas vom Stuhl hoch und biegt ihm beide Arme auf den Rücken.
„Nomomah! Aaahhnomomah!“ Der Pfleger stößt ihn grob auf den Stuhl hinunter und hält seine Hände eisern fest, bis er wieder ruhig ist. Alle sitzen stumm und gebannt da. Sobald er losgelassen wird, beißt sich Jonas so heftig in die Fingerknöchel, dass Danielle entsetzt zusammenzuckt.
Marianne wirkt untröstlich. Die Fassade ihres Optimismus hat einen deutlichen Kratzer abbekommen. Danielle beugt sich zu ihr herüber und zieht sie unbeholfen an sich, während die Frau in ihren Armen herzzerreißend schluchzt. Normale Mütter sind sich gar nicht bewusst, was für ein unendliches Glück ihnen zuteilwurde. Ein Kind zu haben, das über einen Freundeskreis verfügt, zur Schule geht und einer strahlenden Zukunft entgegenblickt – das sind die Träume von Menschen, zu denen sie und diese Frau nicht mehr gehören. Sie fühlen sich abgeschnitten, auf derart elementare Bedürfnisse zurückgestutzt, dass ihre ursprünglichen Hoffnungen und Erwartungen für ihre Kinder nun absolut habgierig wirken – kleinkariert und gewinnsüchtig, ja beinahe bösartig. Ihre einzige Hoffnung besteht in geistiger Gesundheit. Manche wagen es sogar, von Frieden zu träumen. Während Danielle die verzweifelte Frau fester in die Arme schließt, weiß sie, dass die Kommunikation zwischen ihr und dieser Fremden tiefer geht als jedes Sakrament. Sie fühlt die Unantastbarkeit dieser Verbindung, ganz gleich wie entfremdet und beraubt sie sich vorkommen. Es ist alles, was sie haben.
„Sicherheitsstation. Kein Zutritt für Unbefugte. Kein Verlassen ohne Ausweis.“ Danielle starrt in die schwarzen, gnadenlosen Augen einer der vielen Tag und Nacht laufenden Überwachungskameras. Beim Orientierungsrundgang haben sie erfahren, dass diese Kameras in allen Patientenzimmern und in den allgemeinen Aufenthaltsräumen angebracht sind. Sie sollen das Gefühl von Sicherheit vermitteln.
Es ist später Nachmittag. Danielle steht am Empfang, doch Max hält sich zurück. Er hat furchtbare Angst. Danielle kann es spüren. Je verängstigter ein Teenager ist, desto mehr gibt er vor, alles sei ihm gleichgültig. Max wirkt so, als langweile er sich zu Tode.
Danielle kann es ihm nicht verübeln. Als die Gruppensitzung endlich vorbei war, hätte sie sich am liebsten die Kehle durchgeschnitten.
„Miss Parkman?“ Die Schwester winkt sie mit einem breiten Lächeln zu sich herüber. „Sind Sie so weit?“
Oh, sicher. Sie kommt sich wie eine Holocaust-Mutter vor, die im Lager von ihrem Neugeborenen getrennt wird. Sie strafft die Schultern. „Ich wohne in dem Hotel quer über die Straße – Zimmer 630. Können Sie mir sagen, wie die Besuchszeiten sind?“
Das Lächeln der Schwester verblasst. „Sie fahren morgen nicht ab?“
„Nein, ich bleibe so lange, bis ich meinen Sohn wieder mit nach Hause nehmen kann.“
Jetzt erstirbt das Lächeln endgültig. „Wir ermutigen die Eltern nicht dazu, während der Diagnosefindung zu Besuch zu kommen. Die meisten reisen ab und lassen uns unsere Arbeit machen.“
„Nun“, entgegnet Danielle, „dann werde ich wohl die Ausnahme sein.“
Die Schwester zuckt die Achseln. „Wir haben alle nötigen Daten, insofern können Sie mit Dwayne zur Fountainview-Station zurückgehen.“ Der riesige Pfleger, der Marianne zu Hilfe geeilt war, als Jonas sie geschlagen hat, taucht auf. Er ist ganz in Weiß gekleidet. Seine Brust ist so breit, dass der Stoff spannt. Während er auf sie zukommt, denkt Danielle unwillkürlich an Football-Spieler, schwergewichtige Wrestler – in jedem Fall Männer mit einem anormal hohen Testosteron-Level. Sie blickt auf ihren blassen Jungen, der kaum etwas wiegt, und stellt sich vor, wie dieser Mann ihn auf den Boden drückt. Falls Max ausbricht, wird dieser Kerl ihn am Schlafittchen packen und ihn wie einen jungen Hund den Gang hinunterschleifen.
„Hallo, ich bin Dwayne.“ Seine ausgestreckte Hand ist breiter als Danielles Oberschenkel.
„Hallo.“ Sie ringt sich ein ganz kleines Lächeln ab. Dwayne ergreift ihre Hand, die zwischen seinen Pranken verschwindet. Im nächsten Moment lässt er sie wieder los.
Er wendet sich an Max. „Nun komm
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