Mutterschuldgefuehl
Fällen Jahre dauern und ist alles andere als erquicklich. Nie wieder sind Menschen so aggressiv wie im zarten Alter von zwei Jahren. Theoretisch wissen viele Eltern das, aber praktisch sind die meisten von uns von der Wucht dieser Aggressionen erschlagen. So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Vielleicht ein bisschen zicken, vielleicht ein wenig schreien, aber doch nicht dieser schonungslose Ego-Trip!
»Ich möchte nicht, dass mein Kind seine Konflikte körperlich austrägt«, sagt eine Mutter und bringt auf den Punkt, was viele wünschen. Wie die lieben Kleinen ihre Grenzen ohne Sprache und ohne Körpereinsatz durchsetzen sollen, ist allerdings nicht ganz klar, aber dieser Aspekt rückt irgendwie in den Hintergrund. Manche Mütter oder Väter versuchen mit den Kinder zu diskutieren:
»Schau doch mal, Lena, der kleine Junge möchte doch auch mal mit deinem Förmchen spielen.«
Lena soll »Abgeben« lernen, bevor sie »Haben« gelernt hat. Und während Lena die Empörung in den Augen steht, geben die Eltern demokratisch das Spielzeug weiter. Wird dieses Kind davonlaufen, wenn es groà ist, weil sich die Eltern in alles einmischen? Wir wissen es nicht. Und es spielt jetzt keine Rolle. Wir wünschen uns Frieden im Sandkasten. Aber den gibt es nicht. Und dann prallen sie wieder aufeinander, die Welten, die Philosophien der Mütter und Väter, ähnlich wie in der Impfdebatte, nur sind es hier auf der einen Seite die einen, die die Kinder lieber unbeobachtet spielen lassen und dann den Kindern - wenn sie sich an die Gurgel fahren - deutlich zeigen, dass so ein Verhalten nicht akzeptabel ist. Und da sind die anderen, die immer einen Schritt präventiv neben den Kindern bleiben und sie nie aus den Augen verlieren und von anderen Eltern verlangen, ebenso zu handeln. Und dann gehen sie wieder los, die Schuldzuweisungen und Schuldgefühle. »Du hast/ich habe das Kind verweichlicht«, oder: »Du hast/ich habe das Kind verzogen.«
»Dein Kind ist unmöglich!«, schreit Lenas Mutter, weil Lena weinend auf dem Boden liegt.«Du hast ja selbst erzählt, wie sie das schon bei anderen gemacht hat. Da musst du aufpassen!«
»Dein Kind kann sich überhaupt nicht durchsetzen!«, ruft Pauls Mutter zurück. »Du springst immer viel zu schnell dazwischen.«
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Und wir können sicher sein, dass diese beiden Frauen die nächsten Jahre keinen Malzkaffee mehr miteinander trinken.
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Die Phase der frühkindlichen Aggression hat dummerweise das Potenzial, Mütter auf ewig zu trennen. Denn während sich die Kleinen streiten und es im nächsten Augenblick schon wieder vergessen haben, sind die Mütter oft nicht dazu bereit, nicht jetzt, nicht später während der Kindergartenzeit und auch nicht in der Schule. Frauen ohne Kinder können sich auch kränken, aber mit Kind geht das viel besser: Zeige mir, dass du mich nicht magst, und es tut weh. Zeige mir, dass du mein Kind nicht magst, und du triffst mich ins Mark.
Kind haut Kind: Wir gehen aufeinander los
Es ist im Grunde erstaunlich, wie offen wir Frauen zum Beispiel in Mutter-Kind-Gruppen über die intimsten Gewohnheiten und Verhaltensweisen unserer Kinder mit Frauen reden, die wir oft gar nicht gut kennen. Wir diskutieren über Schlaf- und Essgewohnheiten, besprechen eingehend Verdauungs- und Erziehungsprobleme und sinnieren über Verhaltensauffälligkeiten, über angebliche Stärken und Schwächen. Die Themen sind intim, keine Frage, denn würden wir so offen über uns selbst oder über unsere Männer reden? Solch eine offenherzig zur Schau gestellte Kinderstube birgt Angriffspotenzial. Häufig kommt es zu tiefen Ressentiments und gegenseitiger Meidung.
Man kann die grundlegende Beziehung dieser kategorischen Trennung zwischen Müttern verschiedener Auffassungen
auf dem Spielplatz gut beobachten. Die Szenen verlaufen hier meist nach einem bestimmten Ritual: Ein Kind haut ein Kind. Und wenn jetzt die Tätermutter nicht der Opfermutter signalisiert, die Nöte ihres Kindes zu erkennen (»Das arme Kind!«), nicht ihr eigenes Aufsichtversagen entschuldigt (»Ich habe es nicht gesehen, tut mir leid!«) und nicht ihr Kind energisch zur Rechenschaft zieht (»Das tut man nicht! Hast du das verstanden?!«), kommt es manches Mal zu argen Spannungen unter den GroÃen. Wann soll man einschreiten? Soll man bestrafen? Was ist überhaupt
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