Mutterschuldgefuehl
Beschützerverhalten und nimmt dem Kind alles ab, was es eigentlich schon ganz gut alleine könnte, ob das nun das Anziehen, das Ausziehen, die Kontaktaufnahme ist oder Streitereien mit anderen Kindern. Big mother is watching you, you and you! Die ersten fünf Jahre bestimmen das ganze Leben. Spitzenkönner oder lebenslang Depressive? Glück oder Unglück? Das sind doch hier die Fragen! Kann es noch wundern, dass wir nicht gut loslassen können in einer Welt, in der man Kinder sowieso nicht mehr frei herumlaufen lassen kann? Wir sind durch die allgegenwärtige Medienberichterstattung eines jeden Verbrechens im Umkreis von 2000 Kilometer überzeugt, dass Kinder früher frei laufen konnten, weil die Welt damals viel besser war. 78 Prozent der Mütter gaben in einer Forsa-Umfrage im Jahr 2006 an, man müsse heute mehr Angst haben als früher - bei gleichbleibenden Kriminalitätsraten und niedrigeren Verkehrsunfallzahlen mit Kindern. Wir sehen nicht, dass früher nur die Berichterstattung lückenhafter war, die Aufmerksamkeit eine andere und die Eltern besser loslassen konnten.
Loslassen und Selbstbildung
Dummerweise bleibt der Schock des Loslassens in dieser gefährlichen Welt nicht das einzige Ungemach. Es wartet weitere Aufregung. Mütter stehen vor dem Zaun und verstehen die Welt nicht mehr: Es gibt auf einmal im Kindergarten eine Trendwende. Dieses ganze Kurs-Gedöns, die gezielte Wissensvermittlung und geplante Freizeitgestaltung im Vorschulalter - es ist auf einmal alles Schnee von gestern. Das ist nichts wert. Die neue Devise heiÃt: Selbstbildung.
Der Begriff der Selbstbildung ist 2004 in den Rahmenplänen der Bundesländer auch unter dem Begriff Konstruktivismus bekannt. Er beschreibt im Grunde die Erkenntnis, dass Kinder die Welt selbst kennenlernen und nicht durch Erwachsene belehrt werden können. Man kann die Entwicklung der Kinder nicht beschleunigen. Sie lernen, indem sie neugierig die Welt erforschen und ergründen. Schritt für Schritt erschlieÃen sie ihr Umfeld und dabei entwickelt sich die eine oder die andere Fähigkeit.
Die Kita soll nun Kinder fördern, alle Fähigkeiten optimal zu entwickeln, und dafür ist es wichtig, sie zu motivieren, ihnen einen sicheren Raum zur Entfaltung zu bieten, ihre Individualität zu verstehen und ihnen Anreize zu bieten. Chancengleichheit soll für alle Kinder gesichert werden, indem man sie individuell und ganzheitlich aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen zu verstehen und zu fördern versucht.
Nach diesem Konzept der Selbstbildung ist die Erzieherin die »beobachtend Wahrnehmende«. Sie ermutigt und bestätigt. Sie stellt Erfahrungswelten und Materialien bereit, begleitet, hilft dem Kind, sich selbst wahrzunehmen und seinen eigenen Weg zu finden, aber sie greift ihm nicht in seiner Entwicklung vor. Der Fokus liegt nicht mehr auf Normen und Defiziten, sondern auf den Ressourcen des Kindes. Damit bedeutet Selbstbildung vor allem, der Selbstentwicklung des Kindes zu vertrauen.
Vertrauen? Hoffnung? Gutgläubigkeit? »Es wird schon alles werden« etwa? Keine Normkurven, keine Suche nach Defiziten? Keine gezielte Wissensvermittlung und gesteuerte Synapsenvermehrung? Individuelle Entwicklung? Ja, was ist denn das? Das kennen wir modernen Mütter doch gar nicht. Seit der frühen Schwangerschaft sind unsere Kinder an Normen gemessen worden und es wurde nach Defiziten gesucht. Jede Abweichung von der normalen Entwicklung wurde mit Sorge betrachtet. Es gab Punkte, Heftchen, Somatogramme, regelmäÃige ärztliche Kontrollen. Wir Mütter lernten, dass unser Kind nur unter geschulter Anleitung lernt, seine Potenziale optimal zu entwickeln. Dass hochprofessionelle Kursanbieter, gezielte Baby- und Kinderkurse die Mittel der
Wahl sind, um sämtliche Synapsen sprieÃen zu lassen - und das soll jetzt alles hier nicht mehr sein? Die Kinder sollen jetzt ruhig vor sich hin spielen dürfen, ihre eigene Welt entdecken und keine ausgeklügelten Programme mehr ausfüllen müssen? Sie dürfen jetzt ausprobieren und sogar trödeln, weil es langfristig effektiver zu sein scheint?
Müttern wie mir, die immer schon ungern das Projektbein schwangen und sich nach einem entspannten Mutter-Kind-Leben sehnten, entlockt diese Nachricht jubilierende Freudentöne: »Habe ich es doch gewusst«, schreie ich triumphierend und führe ein Freudentänzchen auf. »Endlich
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