Mutterschuldgefuehl
»Ãberwachung« gewertet werden würde. Nur weil es so schön einfach ist, Kinder zu beobachten, heiÃt es nicht, dass es auch legitim ist.
Und seien wir ehrlich - rechtfertigen die MaÃnahmen, die aufgrund dieser Beobachtungen getroffen werden, die Mittel? Wo ist denn die umfassende Förderung bei 25 Kindern, einer Ersatzkraft und einer Beobachterin - oh Verzeihung! - beobachtenden Wahrnehmenden, die mal flott so nebenbei in ihrer Arbeitszeit auch noch umfangreiche Dokumentationen schreiben muss? Erzieherinnen, die für ihre Arbeit bislang keinen Hochschulabschluss benötigten, müssen in der Zeit, in der sie die Kinder betreuen, die körperlichen und gesundheitlichen Entwicklungen, die Sinneswahrnehmungen, das soziale Verhalten, die Emotionalität, die kognitive und sprachliche Entwicklung, das Spielverhalten, die Motorik und die lebenspraktischen Fähigkeiten detaillert von jedem einzelnen Kind analysieren, bewerten und dokumentieren und diese Dokumentation für die Grundschule lesbar verfassen. Dies ernsthaft betrieben, ist schon für einen ausgebildeten Therapeuten eine Mammutaufgabe.
Beobachtende Wahrnehmung ist ungeheuer diffizil. Sie geht weit über das normale Beobachten hinaus. HeiÃt es doch, von seinen eigenen Vorurteilen, Wahrnehmungen und Gefühlen abstrahieren zu können und den Blick für Unbekanntes zu weiten. So etwas muss jahrelang studiert und geübt werden. Dass es darüber hinaus diverse Modelle und Ansätze gibt, wann, was und wie oft beobachtet werden soll, macht es für die Kitas nicht einfacher, sich mit den neuen Vorgaben zurechtzufinden.
Zweitens ist die Beobachtung selbst die eine Sache, die Dokumentation derselben eine andere. Sie erfolgt je nach Kita relativ willkürlich. Zum Beispiel gibt es Beobachtungsbögen in Nordrhein-Westfalen, die die Persönlichkeit eines Kindes nett ordentlich in den Kategorien »Sprache«, »Kognitive Entwicklung«, »Soziale Kompetenz«, »Feinmotorik« und »Grobmotorik« pressen, ein doch recht überschaubares Menschenbild. In Sparten passend zum Alter kann die Erzieherin dann in Multiple-Choice-Fragen über 200 Fähigkeiten abhaken, welche das Kind in diesem Alter normalerweise nach Ansicht der Verfasser dieses Bogens haben müsste, und die Erzieherin muss dabei nicht einmal angeben, worauf ihre Beobachtungen beruhen. So könnte sie zum Beispiel in dem umstrittenen »Gelsenkirchener Entwicklungsbogen« bei dem Alter »vier bis viereinhalb Jahre« unter »Feinmotorik« ankreuzen:
»Schneidet mit der Schere an einer Linie«.
(Ha ha, Fellbüschellinien? Glaube ich nicht!)
Oder unter »Sozialer Kompetenz« bei »viereinhalb bis fünf Jahre«:
»Schämt sich.«
(Ja, warum denn? Oder besser: Warum nicht?)
Dies ist so ganz und gar nicht das, was ich mir unter den Konzepten vorstelle, der individuellen Selbstbildung eines Kindes zu vertrauen, es nicht mehr nach Normen und Defiziten zu bewerten und seine Persönlichkeit ganzheitlich wahrnehmen zu wollen. Nein, vielen Dank.
Leistungsdruck in der Kita?
Auch ausführlichere Dokumentationen müssen nicht besser sein. Unsere Kita hat eine relativ detaillierte, persönliche Dokumentationsform gewählt, die sehr viel Arbeit und Mühe erfordert und mir Tränen des Mitleids für die Erzieherinnen in die Augen treibt. Punkt für Punkt wird beschrieben, was das Kind schon kann, wie es sich in der Kita fühlt und wie es sich verhält mit anderen Kindern und Erwachsenen. Ist es freundlich, ist es fröhlich? Auf jedem Bogen dieser zehnseitigen Dokumentation stehen überdies Stichwörter, die den Erzieherinnen bei der Arbeit helfen sollen. So ist unter »Körperliche und gesundheitliche Entwicklung« zu lesen, was ich unter der Rubrik »ärztlicher Schweigepflicht« vermutet hätte:
Â
»Das Kind: ist belastbar in Alltagssituationen; fühlt sich wohl in seinem Körper; es nässt und kotet nicht mehr; hat alle U-Untersuchungen; hat vollständigen Impfschutz; hat ein normales Körpergewicht; hat ein dem Alter entsprechendes Trink- und Essverhalten; ist infektanfällig/hat folgende Erkrankungen.«
Â
Welcher Erwachsene hätte gerne eine derart geleitete Beobachtung über sich? Hand hoch!
Oder unter »Spielverhalten«:
Â
»(â¦) initiiert Spiele, die für andere Kinder attraktiv sind; strengt sich an, Aufgaben zu
Weitere Kostenlose Bücher