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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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konnten trotzdem an das Gleichheitsversprechen glauben, das ein soziales Netzwerk bereithält: Unabhängig von deiner Hautfarbe, deinem Alter und deiner Herkunft kannst du 300 Freunde haben. Es funktioniert dort genauso, wie dasselbe Versprechen in der Bildungspolitik funktioniert hat, denn wir alle lieben diesen utopischen Gedanken der Gleichheit über alles. Das echte Leben verträgt nach übereinstimmender Meinung von Soziologen aber nur fünfzehn Freunde. Der Freund 2.0 gedeiht nur dort, wo es Strom gibt, was hierzulande nicht das Problem ist, aber Maik bei dem Gedanken weltwärts zu gehen, zunächst am meisten umtreibt.
    Meine Kids konnten sich zeigen, wie sie sich am liebsten sehen wollten. Die Profilfotos dienen ja nicht der Identifizierung, sondern der Präsentation, selbstgefällig oder selbstkritisch, je nachdem. Wer ein Passfoto einstellt, hat schon verloren, bevor er alle Angaben ausgefüllt hat. Das eigene Profil gleicht einem Tamagotchi, dem virtuellen Küken, das man mit sich rumschleppte und per Tastendruck großzog. Nur, wer sein Profil ordentlich pflegt und das heißt: mit Neuigkeiten und peppigen Bildern füttert, wird geliebt und darf überleben. »Wenn du bei einem auf der Liste bist, fühlst du dich schlecht, wenn er nicht auf deiner steht«, sagte Maik und Lysa nickte. Sie homogenisierten sich mit ihrer Großgruppe und erweiterten das Wort Freundschaft um die Komponente Beliebigkeit. Im Internet hat es noch nie zuwenig Gefühl gegeben, es gibt davon immer viel zu viel.

    Meine beiden Netzwerker spekulierten über die Befindlichkeit der anderen und verhedderten sich in ihren eigenen. Von morgens bis abends waren sie verdrahtet, sie steckten ein und teilten aus, sie waren immer auf Sendung, aber nur selten auf Empfang. Ganz besonders schwer fiel es ihnen, auf Antworten zu warten. Blieben sie tagelang aus, obwohl man den Dialogpartner häufig online sah, wurden aus kleinen Missverständnissen große Zerwürfnisse.
    Die Social Networks ersetzten das Tagebuch, nur dass die Einträge jetzt nicht mehr im Vertrauen gelesen wurden oder postum. Das Private wurde sogleich in die Öffentlichkeit geschafft, in eine selbst gewählte, die so löchrig ist wie ein Schweizer Käse. Genauso, wie man sich im Auto traut, in der Nase zu bohren, weil man sich unbeobachtet wähnt, verhält es sich hier. Enthemmt und leutselig wird gesendet, Verschwiegenheit und Diskretion wird vom Empfänger erwartet. Der Kater ist längst weg, die Bilder vom Gelage bleiben. Das alles geht schnell, doch wer seine dokumentierten Ekstasen flächendeckend wieder loswerden will, braucht viel Geduld. Oder er engagiert für ein paar hundert Euro einen professionellen Rufverteidiger. Aber ohne Gewähr.

    Die Volkszählung von 1987 nimmt sich lächerlich aus gegen die Selbstauskünfte bei Facebook und Co., wo jedermann sich spielerisch ausfragen lässt. Farmville zum Beispiel ist ein reines Spähprogramm, aber das finden wir nicht schlimm, weil es so niedlich ist. Die Google Street Viewer haben es einfach nur ungeschickt angefangen. Man muss mit uns umgehen wie mit den Kindern im Bällebad bei Ikea. Wir tauchen gern ab in fröhlich bunte Farben und dort, wo es keine Ecken gibt. Die Google-Leute hätten einfach so eine Art Sim-City auf Nachbarschaftsebene daraus machen sollen, dann hätten wir unser Haus klaglos in 300dpi Qualität selbst fotografiert und freudig hochgeladen.

    Mit der Zeit kapierte Maik die Methodik hinter den Facebook-Existenzen. Als er auf dem Frankfurter Bewerbungstag Christoph traf und ihn sympathisch fand, obwohl der keine Ahnung von Musik hatte, weswegen er ihm in der Schule aus dem Weg gegangen wäre, begann mein Sohn, seine Haltung zu überdenken. Es war ihm
angenehm, dass Christoph nicht nur den Tontechniker in ihm sah. Er begriff, dass ein Netzwerk Toleranzgrenzen nur verschiebt statt sie zu erweitern. Und schließlich sah er das, was es war: eine riesige Rationalisierungsmaschine.
    Lysa hingegen hörte nicht auf, nach der Welt zu suchen, die eher als die Wirklichkeit ihren Ansprüchen genügte. Es liegt an den Menschen, dachte sie und suchte weiter. Sie pflegte 50 engere Kontakte, damit sie zwei verbindliche Verabredungen in der Woche hinbekam. Dabei war sie nie sicher, das Richtige zu tun.

    Am Tag der Party will ich auswandern. Lysas Freund ist keine große Hilfe. Er fühlt sich nicht zuständig für die Bierbänke oder die Kabeltrommel, er fragt nur mal nach, welche Musik denn so gespielt wird. Patrick benimmt

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