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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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wie es mal angedacht war. Nach Mitternacht ist meine kleine Große vollkommen überdreht; es wird allenthalben wild und frei getanzt. Kurz nach eins verabschieden sich mein Mann und ich in der Überzeugung, dass eine Krawalltruppe hier nicht mehr aufkreuzen wird.
    Im Morgengrauen höre ich die Haustür klappen. Es ist Lysa, allein. Sie kommt rücksichtsvoll leise die Treppe hoch. Minuten
später hallen spitze Schreie und lautes Schluchzen aus ihrem Zimmer. Rolf und ich schrecken hoch. Auch Maik taumelt schlaftrunken auf die gegenüberliegende Seite des Flurs. Was ist los? Unsere Tochter kreischt und trommelt mit den Fäusten auf ihr Bett. Ihr Rechner ist hochgefahren. Offenbar wollte sie gleich die ersten Partybilder auf Facebook einstellen.
    Ich starte einen Versuch, Lysa zu beruhigen und will mein Mädchen in den Arm nehmen, aber sie stößt mich weg. Ratlos hocke ich mich auf das Bettende. Rolf und Maik lehnen im Türrahmen. Wie Lysa weint, klingt es nicht nur traurig, sondern auch nach Wut und Verzweiflung. Zum Glück weiß ich aus der Werbung, was Kinder brauchen, um sich aufgehoben zu fühlen: Schokoladenpudding. Ich gehe in die Küche und kippe einen ganzen Liter Milch in den Topf.

    Während ich rühre, überlege ich, ob es einen Zusammenhang zur geöffneten Facebook-Seite gibt. Ständig zu kommunizieren, findet jeder anstrengend, entgegen allen Vermutungen auch die Jugendlichen. Und trotzdem beteiligte sich Alt und Jung an der Dauerpräsenz im eitlen Glauben, nur zu reagieren. Wir hatten alle mitbekommen, dass uns die vielen Optionen schnell zusammenführten und genauso schnell wieder auseinanderbrachten. Maik und Lysa investierten all die Jahre viel mehr Zeit, sich zu verabreden, als tatsächlich mit ihren Freunden beisammen zu sein. »Wir telefonieren noch mal!«, hieß es Tage vorher oder: »Ich meld’ mich!« Auch dann, wenn eigentlich nichts gegen eine konkrete Verabredung sprach außer der Hoffnung, es könne zwischenzeitlich noch etwas Spannenderes passieren. Stunden vorher, zwischen Schminken und Hairstyle, sogar noch kurz bevor sie das Haus verließen, wurden Kurznachrichten hin- und hergeschickt, um die Planung zu justieren. »Komme später. Muss noch bei Samuel vorbei.« Oder: »Kannst du mich doch abholen?« Oder: »Ich will mein neues Kleid anziehen, das geht aber nicht für die Rheinaue. Können wir woanders hingehen?«
    So war unser Nachwuchs ständig unter Spannung, kam nie zur Ruhe. Und hatte die Clique endlich zueinander gefunden,
konnte man darauf wetten, dass einer plötzlich eine neue Attraktion vorschlug. Dann wurde wieder diskutiert, erneut zwischen Anreiz und Bequemlichkeit abgewogen und wer bei wem im Auto mitfahren konnte. Wenn Maik oder Lysa mit einer Flappe bis zum Boden viel früher als erwartet heimkam, wusste ich, dass sich die Gruppe aufgespalten hatte, weil man sich nicht auf ein Ziel einigen konnte. Bekam ich hingegen eine SMS in der Art: »Liebste Mama, sind in Köln, schlafe bei Lena. Ist okay hoffe ich. HDL, L.« dann war der Plan zu Lysas Zufriedenheit verändert worden. Maik schrieb in so einem Fall: »Hey, bin in Kölle, komme nach Haus iwie. M.«
    Einmal riss ich meinen Jungen höchst selbst aus der Gruppe. Er war 16 und auf einer offiziellen Karnevalsparty, die er um 24 Uhr hätte verlassen müssen. Um halb zwölf verlegt er unsere Abholvereinbarung um zwei Stunden in die Nacht: »Blib hier, kanste um 3 komen.« Wutentbrannt stieg ich in mein Auto und ließ ihn im Saal ausrufen. So hasserfüllt hatte ich ihn noch nie gesehen, und er wirft es mir heute noch vor.
    Beide Youngster gaben sich, vermutlich wegen aller Möglichkeiten und Unwägbarkeiten, auch nicht mehr mit einer Clique zufrieden, sondern pflegten mehrere Gruppen, die sie aus unterschiedlichen Bereichen kannten: Schule, Tanzen, Musik, Chor, DLRG. Überall gab es Leute, mit denen sie irgendwie bekannt waren. Wer nicht dreimal bei uns war, dessen Namen merkte ich mir schon gar nicht mehr, und den ersten Verabredungsentwurf konnte ich getrost ignorieren. Das reichte aber nicht, um meine wachsende Aggressivität einzudämmen. Nur was ging mir eigentlich so auf die Nerven? Ihre Spontaneität oder die Tatsache, dass sie deutlich mehr Möglichkeiten hatten als ich damals?
    Es machte mich rasend, dass sie mit sich und mit ihrem Wirkradius nicht wirklich etwas anzufangen wussten. Dass sie ihre Möglichkeiten mit Unverbindlichkeiten verplemperten. Natürlich wusste ich, dass ich mich auch mal so verhalten hatte, im

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