Muttersohn
bezeichnet. Der Heiligkeit des Augenblicks, korrigierte Percy.
Der Professor: Entschuldige, ja, natürlich Trivialisierung der Heiligkeit des Augenblicks.
Herr Müller-Sossima hob wieder das Glas: Freunde, dass ich jetzt endlich Musik machen darf, ist nichts anderes als das, was ihr gerade gesagt habt. Aufgenommene Musik ist doch nichts als Trivialisierung. Musik ist in dem Augenblick, in dem sie gemacht wird, die Heiligkeit des Augenblicks. Lasst uns, bitte, darauf trinken, dass es so viel Übereinstimmung gibt wie jetzt zwischen uns. Wir sind ein einzigartiges Orchester, liebe Freunde, zum Wohl.
5.
Du gehst allein hinauf, sagte Percy. Du teilst mit, dass du im Kofferraum eine Urne und ein Manuskript hast. Beides für sie. Und dass auf dem Beifahrersitz ein Feigling sitzt, der sich nicht hinauftraut. Abgesehen davon, da lies. Massimo las, was auf dem Schild neben dem Gartentor stand: Elsa Frommknecht, Logopädin.
Zweimal verheiratet, sagte Percy, und immer noch der Mädchenname.
Massimo ging hinauf, hörte droben die Musik aus der offenen Studiotür, teilte das pantomimisch mit und setzte sich auf die Holzbank zwischen den zwei Türen des Anbaus. Schließlich kam die Klavierspielerin heraus, Percy sah, wie Massimo seine Mitteilung zu machen versuchte. Dann nahm sie Massimo gleich durch die zweite Tür in ihr Sprechzimmer mit. Und es dauerte gute zwei Stunden, bis beide wieder erschienen. Dass Massimo ihn Elsa als Feigling gemeldet hatte, tat ihm jetzt weh. Was er Elsa wirklich hatte mitteilen wollen, ließ sich nicht durch einen Dritten mitteilen, und schon gar nicht durch einen so mühsam Sprechenden. Und selber hätte er ihr sagen müssen, dass er selber ihr nichts sagen könne. Das hätte er ihr gern gesagt. Aber wie? Die Aufdringlichkeit des Selbstgesprächs nach einem Versagen.
Massimo sagte, als er wieder neben Percy saß, er könne noch gar nicht sagen, wie gut diese Frau sei. Später, sagte er. Aber dass er jetzt eine Woche lang Atmen lerne, dann zweimal eine Woche lang hier behandelt werde, brachte er heraus.
Auf Urne und Manuskript habe Frau Frommknecht mit einer Handbewegung reagiert. Und zwar so, dass er, auch ohne Stottern, davon nicht noch einmal hätte anfangen können. Urne, Manuskript, Scherblingen, gar Ewald Kainz … Ohne Heftigkeit, aber eindeutig wurde alles abgelehnt, was mit Scherblingen zu tun hatte. Sogar ganz mild habe sie das abgelehnt.
Super, sagte er, sei Elsa, una donna inquietante piacevole.
Es war viermal eine Woche nötig, bis Massimo, als er auf die Insel zurückkam, sagen konnte: Wir schaffen es wahrscheinlich. Und nach sechs Wochen galt die Behandlung als beendet. Sollte ein Rückfall eintreten, darf er sich bei Elsa Frommknecht melden. Die Rechnung würde sie Massimo schicken. Adresse Rheinau. Rechnungen jeder Art wurden von Enrico Federer bezahlt. Massimo erwies sich als der unendlich brauchbare Handwerker, der er war. Kirki führte die Hauswirtschaft und versorgte zusammen mit dem Professor die Tiere, die über dem Rhein im ehemaligen Gutshof untergekommen waren. In einer der vielen Werkstätten hatte Enrico Federer, einer Weisung Müller-Sossimas folgend, einen Schredder der Firma aufgestellt. Das fiel den Ankömmlingen bald genug auf: Man durfte, wenn Herr Müller-Sossima dabei war, nichts erwähnen, was einem fehlte. Er merkte sich’s und ließ es durch Enrico Federer besorgen. Der Schredder war ein Oblomov XI . Innozenz fing an, seine Scherblinger Anthologie ihrer Bestimmung zuzuführen.
Am erstaunlichsten war, was mit dem Professor geschah. Auch das ging nicht ohne Massimo. Er musste einen weißen Ärztemantel, eine weiße Arzthose und dazugehörige Schuhe mit einem schnell trocknenden silbernen Lack überziehen. Dann, jeden Samstag, das Gesicht, den Hals und die Hände des Professors. Auch der braunbeige Sommerhut erhielt den Silberanstrich. Dann musste er den Kopf des Professors auf ein Stück Sperrholz zeichnen, eine Profil-Ansicht, diesen Kopf aussägen und auch silbern überziehen. Massimo war glücklich. Es war, als hätte er genau auf solche Aufgaben gewartet. Den Kopf des Professors musste er an einen ebenfalls versilberten Draht hängen. Dann noch ein Holzschwert, auch versilbert. Den so ausstaffierten Professor musste er rheinaufwärts fahren und ihn an einer der Rheinbrücken so aufstellen, dass Passanten ihn für etwas Künstliches halten konnten. Eine Figur, die reglos stand, in der rechten Hand ein Schwert, an einem Draht, den die Linke hielt,
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