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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Wosnesenski, ein Pseudonym für Hans Rabe, und der Bertelsmann Verlag reagiert so: … in unserem Programm bis auf weiteres kein Platz mehr. Kiepenheuer & Witsch: Leider ist unser Programm im Voraus geplant. Der Insel Verlag: … für das Programm des Insel Verlages nicht geeignet. Du siehst: Die Verlage haben ein Programm, mit dessen Hilfe sie Literatur ablehnen können. Ich werde Herrn Rabe natürlich schreiben, dass in der Ofenküche kein Ablehnungsprogramm existiert. In der Scherblinger Anthologie ist jeder willkommen. Da, Hans Kleiber. Das ist der siebzehnte Brief von Hans Kleiber in diesem Monat. Hör zu: Ich gestatte Ihnen, meine Briefe ins Saubere zu schreiben und sie in Ihre gewaltige Anthologie aufzunehmen. Mein Unheil rührt daher, dass ich mich zu lange mit Schriftstellern abgegeben habe, die schon unter der Erde weilen. Irgendwer presst mir andauernd Reuetränen ab. Sie müssen wissen, dass ich ein Aufschneider bin. Im Abendgymnasium andauernd in englischen Büchern geblättert und so getan, als könnte ich Seite für Seite lesen, dabei verstand ich kein Wort. Vielleicht sind meine mäandernden Briefe ein Roman. Schon schade, dass Dostojewski nicht mehr lebt. Er lebt doch nicht mehr, oder? Können Sie mir einen Schriftsteller sagen, der schon mal vor Wut ein Buch an die Wand geworfen hat? Insgeheim betrübt es mich, dass mir nichts mehr, aber auch gar nichts mehr heilig ist. Ich bin mir sicher, dass sich mit meinem Geschriebenen nichts anfangen lässt. Vielleicht lässt sich in späteren Jahren damit etwas anfangen. Vielleicht sogar viel. Vielleicht sogar alles.
    Ja, ja, ja, Hans Kleiber! Dafür bin ich da! Der Erdkreis kann sich diese Geistverluste nicht länger leisten. Sag jetzt nicht, Percy, dass ich aus meiner Flucht vor dem Hauptwerk ein Geschäft machen will. Das Hauptwerk kommt. Sobald die Verfolger eingeschlafen sind. Aber die Scherblinger Anthologie ist kein Lückenbüßer, Percy. Das siehst du doch. Da, gestern, Siegfried Adler. Er schreibt: Es wird mir heute Abend zum ersten Mal richtig bewusst, dass es doch besser wäre, wenn die Post Einzelgängern Bücher erst abends zustellte. Der Hauptgrund dieses Schreibens aber ist, Ihnen mitzuteilen, dass Sie mein Manuskript nach Möglichkeit so lange behalten sollen, wie Sie es aushalten können, es bei sich zu haben, ohne mir zu antworten. Ich werde mir hier die Zeit schon zu vertreiben wissen. Diese Jahreszeit eignet sich ja so gut für Spaziergänge. Darüber hinaus hoffe ich, dass ich wieder ich selbst werde. Vielleicht hilft Hamsuns
Hunger
lesen.
    Dass viele, die mir schreiben und Manuskripte schicken, Hans heißen und fast immer in Berlin oder in München leben, wird zu untersuchen sein.
    Und las gleich weiter: Da, Hans Sperber: Wenn es aber einen Gott gibt, so gibt es zu allen Zeiten nur eine Sprache, in der man zu diesem Gott redet, wenn man von ihm angerufen wird. Darum kann ich nicht zustimmen, wenn mir gesagt wird, dass in meine Dichtungen nichts eingegangen sei, was der Mitteilung wert ist. Ich bin angerufen worden von Gott. Daraus kann keine supramoderne, mit ängstlicher Verstandeskraft zusammengekleisterte Intellektualdichtung erstehen, von der es einem schwindlig werden muss, weil die Seinsschwere verloren gegangen ist. Ihr Urteil, werter Herr, mag vernichtend sein. Aber dann ist alles wieder, wie es bis jetzt war, und die Ausnahme war dann die Zeit, in der ich hoffte, irrsinnigerweise hoffte, dass Sie mich gelten lassen könnten.
    Und las weiter: Wenn die Quelle versiegt. Gedichte. Ich muss Ihnen mein jüngstes Werk anvertrauen. Es ist ein wahres Herzenskind. Dass darauf niemand gewartet hat, weiß ich jetzt. Aber dass es Sie gibt, weiß ich jetzt auch. Wenn ich Sie meinen einzigen Lichtblick nenne, will ich Sie nicht nötigen, gut zu sein zu mir. Was auch immer Sie sagen, es wird alles entscheiden. Ihrem Urteil allein werde ich mich fügen. Ihre Gretel Kornblum.
    Und las weiter: Ist mein Geschriebenes so unzulänglich, wie ich mich genau in diesem Augenblick fühle? Das steht als drohende Frage im Raum. Ich möchte nicht um eine Antwort betteln, nur darum bitten möchte ich, Ihnen meine Manuskripte schicken zu dürfen. Ida Halm.
    Schön, gell, sagte Innozenz. Wenn keine hiesige, keine Scherblinger Regung spürbar, sichtbar, beachtlich geworden wäre, hätte ich geglaubt, ich sei auf dem Weg in eine Sackgasse hinein. Aber, zu meinem großen Glück, treffen aus Scherblinger Quartieren leuchtende Texte ein. Fabelhaft, das

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