Muttersohn
denkbare Kampf werden. Gegen die Kollaborateure, die bewusstlosen Statthalter des Wissens, die Funktionäre des Zweimalzweiseivier. Das Problem der Wissenschaft kann nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden. Nicht von mir. Bruder Nietzsche. Gell. Wenn der Professor zu mir heraufkommt, sitzen wir, und er sagt, was gerade vorgeht in ihm. Es ist immer die Unbeweisbarkeit dessen, was er glaubt. Ich glaube, also bin ich, sagt er. Das ist revolutionär, Percy. Ich glaube, also bin ich. Das ist sein Satz. Noch sagt er den nur hier heroben im barocken Dreiecksgiebel des Alten Torhauses. Komm jetzt. Setzen wir uns. Falls du für einen paranoid halluzinatorischen Schizophrenen noch einen Augenblick Zeit hast.
Er ging voraus. Percy folgte. Hinter den quergestellten Regalen gab es ein Sofa, zwei Sessel und einen kleinen runden Tisch, wahrscheinlich aus Messing.
Percy, sagte er, ich habe natürlich gewusst, dass du wieder kommen wirst. Ich weiß natürlich, dass die zuerst mit Vogel-, dann mit Gewächsnamen auf mich zu dirigierte Flut unter dem Vorwand Scherblinger Anthologie nichts ist als der Versuch, das Hauptwerk zu verhindern. Falls du das auch denkst, könntest du es ruhig aussprechen. Ich glaube sogar, die Zentrale, wer auch immer das sei, organisiert die Ablenkungsattacke absichtlich so durchsichtig, sieben Wochen Vogelnamen, und ich heiße Horst-Jürgen Storch, dann neun Wochen Gewächse, und meine Mutter ist eine geborene Klee, verstehst du, ich soll merken, was gegen mich im Schwange ist. Ja, ja, ich merke es! Für einen Zufall habe ich es nie gehalten. Dazu war ich immer zu realistisch. Aber, Percy, und wenn sie mir sämtliche Lampen auf den Kopf fallen lassen, mögen die Lampen zerbrechen, ich zerbreche nicht.
Dann, später: Percy, mach dir keine Sorgen um mich! Und flüsternd: Den Innozenz, den kriegen sie nicht. Zentralen sind immer dumm.
Und wieder später, noch leiser flüsternd: Das Hauptwerk wird erscheinen. Autor wird sein: Innozenz Alias.
Dann etwas lauter: Gut, gell?!
Percy nahm die rechte Hand von Innozenz und hielt sie an seine Brust. Innozenz sollte spüren, wie heftig Percys Herz schlug. Dann gab er die Hand zurück.
Irgendwann sagte er: Du hast es schön hier heroben.
Und später: Vielleicht müssen wir einmal zusammenziehen. Du und ich. Und unseresgleichen.
Und Innozenz: Zum Beispiel der Professor.
Du weißt, ich bin hier, weil ich mein Gesicht verloren habe. Darum muss ich mich hier verstecken. Der Professor ist mein Komplize. Ich habe immer Angst, er müsse es eines Tages büßen.
Irgendwann stand Percy auf, gab Innozenz die Hand.
Innozenz sagte: Nimm mich bitte nicht so ernst. Und weil Percy nichts sagte, sagte er noch: Sonst friert’s mich.
Von der Tür her ein Klopfgeräusch, das schon eher ein Trommelwirbel war. Und bevor Innozenz Herein rufen konnte, stürmte herein Friedlein Vogel. Und nahm die größtmögliche Haltung an und trug vor:
Spiel zum Tanz auf, Saxophon,
wer jetzt noch lacht, lacht mir zum Hohn.
Spielt auf, ihr köstlichen Schalmeien,
der Hass tanzt mit mir Ringelreihen.
Und, rief er.
Weiter, rief Innozenz, weiter!
Und der:
Soll ich noch ne Strophe dichten,
dann könnt ihr mich noch gnadenloser richten.
Mich zieht ein jeder Reim von hinnen,
ich wohne längst bei Käfern und bei Spinnen.
Und rief: Immer noch?
Und Innozenz: Aber ja, aber ja.
Und der:
Jedes Gedicht wölbt mir den Mund,
jedes Wort wird mir zum Fund,
ich bin gemeint von tausend Sonnen,
die letzte Schlacht wird von mir gewonnen.
Dann, ein bisschen müder klingend: Soll ich noch?
Innozenz: Unbedingt.
Der, jetzt eher leise, fast vor sich hin:
Ich bin von einer Frau im Traum geboren,
mich hat kein Mann im Bett verloren,
ich blühe auf asphaltenen Plätzen,
wo sie Menschen mit Gesetzen hetzen.
Dann, auch nicht gerade laut:
Am schönsten wäre es, wenn ich etwas Schönes machen könnte. Das Schöne braucht uns wie wir den Tod.
Ich bin Jonas. Ruft mich. Ich werde euch hören.
Jonas warf ihnen einen Kuss zu und ging.
Innozenz sagte: Scherblinger Anthologie!
Percy sagte: Du treibst was um!
Dann ging er auch.
Ohne es eigentlich zu wollen, ging er Richtung Portal. Als er das merkte, gestand er sich ein, dass er in den Bibliothekssaal wollte. Auf die Orgel. Phantasieren. Wenn er auf der Orgel phantasierte – und das tat er hier in Scherblingen öfter, als ihm recht war –, konnte er sich gehenlassen. Es war eine
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