Muttersohn
Farbigen zu schlagen, ist weniger riskant. Er hält das nur aus, weil er weiß, dass sie ihn liebt. Sie liebt ihn wahnsinnig. Und er liebt sie auch. Auch wahnsinnig. Sie seien wahrscheinlich das glücklichste Paar in ganz Augsburg. Wenn nicht sogar in ganz Bayern.
Sandra schaut manchmal mich an, wenn Moise zu uns spricht. Ich gebe mich so entzückt, wie ich bin. Oder wie ich sein möchte. Sandra erwartet das von mir. Und von sich auch. Wenn ich einen Augenblick mit Sandra allein bin, sage ich, Moise müsse man mögen, Laura auch, aber dass Schlagen und Geschlagenwerden offenbar das einzige Lebensthema der beiden sei, sei schon schade. Sandra natürlich: Sie könne gar nicht genug davon hören. Dass jemand immer dasselbe von sich erzählt, sei eine Gewähr dafür, dass es stimme. Jedes Mal etwas anderes anzuhören sei uninteressant.
Und rundum, die Gläser fromm in den Händen, das durch die Musik gesegnete Publikum. Alle sehen anders aus als vorher. Und diese Kleider. Manche Kleider wirken, als wollten die Frauen, die sie tragen, vergessen werden. Gleißende Büsten ragen aus seidenen Knäueln und bombastischen Rüschen … Gibt es überhaupt Männer?
Den zweiten Akt erzählte Elsa in einem einzigen Satz. Dann der dritte Akt.
Bis Rejoice, oh Judah! And in songs divine, with Cherubim and Seraphim harmonious join. Hallelujah! Amen.
Dann … eine riesige Ruhe. Eine dröhnende Ruhe.
Der Chor, Männer und Frauen, und die Musiker und die Solisten und Elsa, sie brauchen länger als das Publikum, um zurückzufinden ins Konzerthaus in Ravensburg. Es ist das Publikum, das sie durch seinen Applaus zurückruft auf die Bühne. Das geben sie zu. Dann benehmen sie sich, wie es sich gehört. Nur Elsa benimmt sich anders. Sie steht wie unter einem Wolkenbruch, der einen zwar überrascht, der aber, das spürt man, willkommener ist, als man zeigen will. Sie lenkt den Beifall immer wieder zu den Solisten, zum Orchester, zum Chor. Und wenn sie ihn sich selber zugutekommen lässt, breitet sie die Arme aus, als wolle sie den Beifall, ihn umarmend, empfangen.
Dann die Feier. Alle Dazugehörenden hatten Gläser in den Händen. Die Orchestermusiker standen herum wie Fachleute. Die Sänger und Sängerinnen standen herum wie Beschenkte. Die Solisten standen da, als seien sie auf Besuch. Elsa sank von einer Umarmung in die andere.
Bevor sie in meinem rechten Arm einschlief, sagte sie noch, mehr zu sich als zu mir: Drei Patzer, zwei im Chor und ein falscher Einsatz im Orchester … Come, ever-smiling Liberty, summte sie und schlief. Schöner kann nichts sein, als einen glücklichen Menschen einschlafen zu sehen.
4.
Elsa: Du bist also doch nicht katholisch. Du hast kein Talent zum Feiern. Du feierst mich überhaupt nicht.
Ich griff nach ihr, heftig. Mir war zum Stottern. Aber es gelang mir, stotterfrei zu sagen: Was ich alles nicht kann! Aber dich lieben kann ich …
Sie hielt mir sofort den Mund zu.
Ich liebte sie. Als ich sie geliebt hatte, sagte sie: Wenn du einen liebst, braucht man mehr Atem als beim Agnus Dei in der h-Moll-Messe.
Kaltblütig. Ich bin kaltblütig. Noch wer? Kenne keinen. Vielleicht bin ich der einzige Kaltblütige. Zur Zeit.
Silvi: Ein Bild, auf dem wir beide richtig drauf sind, gibt es noch nicht. Nur eins, das Kirk mit ausgestrecktem Arm gemacht hat. Mit dem anderen Arm hält er mich.
Orpheus: Er verliert Silvi nicht an den Tod, sondern an das Leben.
Alles Weibliche erinnert ihn an sie. Heißt das: Sie hat das Weibliche besetzt?
Er sucht jedes Autonummernschild, hinter dem er herfährt, ab nach Beziehungen zu ihrer Nummer. Wenn er Buchstaben und Zahlen sieht, die bei ihr vorkommen, tut es ihm weh. Wenn er keine solchen Buchstaben und Zahlen entdeckt, tut es ihm auch weh.
Zu sagen, es sei nicht auszuhalten, und es doch aushalten, ist lächerlich.
Silvi: Dr. Kirk Austin, zum ersten Mal ein Mann mit Zukunft.
Kirk ist von seiner Frau betrogen worden. Was er da hinter sich hat, will er nicht noch einmal erleben. Für die drei Kinder soll sie die neue Mutter sein. Und die anwaltsreife Formulierung: Er vertraut mir, und ich muss sein Vertrauen schützen vor einer neuen Enttäuschung.
Hanover ist so ein liebes Städtchen. Wie aus einem schwedischen Kinderbuch des 19. Jahrhunderts. Und wie sich der Connecticut durch die Wälder schiebt. Wenn ich nur sagen dürfte: Besuch uns einmal. New Hampshire wäre es wert.
Wie lange soll er sich das Trostgeschwätz noch anhören und sich dann manipulieren
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