Muttersohn

Ertrinken reichte. In seiner vollen Uniform. SS -General. Zuletzt in Belgien. Sollte der wallonischen Division von Léon Degrelle das Kämpfen beibringen. Dann in einer Sträflingskluft von Belgien an den Oberrhein. Zu Fuß. Eine KZ -Häftlingskluft. Auch das wurde als Pointe serviert. Dann meldet ein Kamerad, dass man hinter ihm her sei. Er legt sich hin und schiebt sich ins Wasser. Graf Sandro sei da sieben gewesen. Dass das Schloss kein Schloss mehr sei, sondern eine Villa Wahnfried Nummer zwei, sei uns sicher aufgefallen. Er habe doch schon als Schüler in Salem angefangen, kleine Figürchen zu produzieren aus allem, was sich biegen lässt. Später sei daraus sein
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geworden. Inzwischen werde es verkauft in über hundert Ländern. Von Adam und Eva, Josef und seinen Brüdern bis kurz vor Christus. So hat er sich’s leisten können, aus dem Schloss eine millimetergenaue Nachbildung der Wagner-Villa zu zaubern. Das war der Augenblick, wo uns bewusst wurde, dass wir schon die ganze Zeit aus dem Haus Wagner-Musik hörten. Eva Maria sprang auf, ging hinunter auf den Steg, schlüpfte aus ihren Kleidern, hechtete ins Wasser und kraulte davon. Ich habe dem Grafen Eva Marias Wasserleidenschaft erklärt. Drei Wochen später also: Eva Maria Gansloser und der frisch geschiedene Richard Sandro Graf von Wigolfing. Am Hochzeitstag eine Karte, Picasso, Sitzender Rückenakt, 1902: Blaue Periode. Und als Text: Ich werde dich immer lieben. Bis bald. Eva Maria. Solange sie mit dem Grafen lebte, reiste, gab es Kartengrüße, einmal pro Jahr. Immer mit der Abkürzung in großen Buchstaben: I W D I L , BB .
    Eine der Sehnsüchte des Grafen: Er wollte der Erste über sechzig sein, der die Eiger-Nordwand im Alleingang bezwingt. Aber ein Wettereinbruch, er stürzte, blieb mit einem Fuß im Seil hängen und erfror.
    Von jetzt an führt der Neid Regie in meinem Bericht. Mein Freund Percy: Sei halt nicht mehr dagegen, dass du neidisch bist. Gönn dir den Neid.
    Dr. Heinfried Bruderhofer also. Zwei Jahre nachdem Graf Richard Sandro in der Eiger-Nordwand verendete, heiratete er die Witwe Eva Maria Wigolfing, geborene Gansloser. Der Graf, selber ein mäßiger Segler, hatte Dr. Bruderhofer seine Prachtsyacht Tamara überlassen, dass der damit Trophäen erobere. Dr. Bruderhofer gewann mit Tamara alles, was es auf dem Bodensee zu gewinnen gibt. In einem Interview sagte Dr. Bruderhofer, er sei zum Segeln auf die Welt gekommen.
    Am Tag der Hochzeit mit Dr. Bruderhofer eine Karte, allerdings in einem Kuvert, vorne Gustav Klimt, Danaë, 1907, hinten Text: IN LIEBE , Eva Maria. Danaë in orgiastischem Jugendstil. Die wurde, weil sie untreu war, in einem Kasten aufs Meer geschubst. Zeus hat sie als Goldregen geschwängert, ihr Vater glaubt ihr das nicht, sperrt sie in einen Kasten, den er ins Meer werfen lässt. So schwimmt sie davon. IN LIEBE , Eva Maria.
    Ich habe durch die Wälder laufen müssen. Rennen müssen. Und schreien. Nicht laut schreien. Laut schreien liegt mir nicht. Leise habe ich schreien müssen. Tagelang und nächtelang. Und mich bekannt machen müssen mit der Aussichtslosigkeit. Versuche keiner, sich mit diesem Wort, mit diesem Zustand zu beschäftigen. Es gibt keinen Verständniszugang zu diesem Wort, zu diesem Zustand, wenn es nicht dein Zustand ist. Du kommst nicht in Frage. Das ist der Zustand. Ich werde dich immer lieben. Bis bald. Du kommst nicht in Frage. Du kannst diesen Zustand bei dir nicht durchsetzen. Du kannst ihn hundertmal durchsetzen. In einer unbewachten Hundertstelsekunde stellt er sich wieder her als ein Hoffnungsblitz, als Illusionsgewalt. Eine Zeit lang bin ich bei James Cagney gelandet. Er hat in allen seinen Rollen meine Rolle gespielt. Das Kinn angezogen, der Mund gepresst, die Augen schutzlos. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einem Schauspieler so verwandt fühlen könnte. Dann habe ich die zweite Dissertation geschrieben. Über das Erschöpfungssyndrom. Keine Aussicht auf Entlastung. Endet in der klassischen Depression. So, also durch Eva Maria, bin ich überhaupt in die Psychiatrie gekommen.
    Nicht in Frage kommen. IN LIEBE .
    Du nimmst zu Hilfe, was es gibt. Psychologie, Logik, Astrologie, Philosophie, Religion. Je mehr du redest, desto weniger kommt, was du redest, in Frage. Deine Niederlagen sind die Siege des Unerklärlichen. Du müsstest hoffnungsloser werden mit jeder Niederlage. Aber im Gegenteil, von Niederlage zu Niederlage steigt deine Hoffnung. Vergleichbar den Niederlagen