Muttertier @N Rabenmutter
LEGO spielen. Ab drei Uhr hatte ich das mit dem LEGO spielen wieder geknickt und ab fünf Uhr dachte ich, es wäre für ihn besser, mir heute gar nicht zu begegnen. Tagsüber der Superheld, der seinem kleinen Bruder von Dieben und Gespenstern erzählt, und nachts die Mama wecken. Nee!
Ich freu mich, dich im Mai in Mönchengladbach zu sehen und deine Tochter kennenzulernen. Leider sind wir nur so kurz da, dass wir wahrscheinlich in doppelter Schallgeschwindigkeit reden müssen, um das Wichtigste auszutauschen. Außerdem dürfen wir die Familie nicht vernachlässigen.
Vielleicht kannst du ja aber auch mal eines dieser günstigen Bahntickets schnappen und mit Franziska für ein paar Tage hierher kommen. Platz ist ja nun genug für alle da. Meine Mutter ist für 59 Euro hin-und zurückgefahren und hätte noch bis zu drei Kinder kostenlos mitnehmen können.
Mittlerweile sitzt ein kleiner Bär auf meinem Schoß und will unbedingt und sofort bei YouTube ›Cowboy und Indianer‹ hören. Der steht voll auf diese ganzen Malle-Hits! Keine Ahnung, von wem er das hat …
Ich sag tschüss bis bald,
liebe Grüße in die Heimat,
Maxi
2
›Lieschen ist die wichtigste Person für mich gewesen in den letzten zweieinhalb Jahren. Ohne sie gäbe es uns heute sicherlich nicht mehr. Ohne sie hätte ich nach dem Tod von Marc nicht mehr die Kurve gekriegt. Ich wollte damals nicht mehr leben …‹, begann ich meine E-Mail an Maxi, als es klingelte.
Lieschen stand vor der Tür und fragte sofort »Hach, Hanna, Kint, is et hüt widder so ne Daach?«
»Ja«, sagte ich kurz mit glasigen Augen. Immer noch, wenn ich an Marc denke oder über ihn spreche, tut es so entsetzlich weh, als ob es gestern gewesen wäre.
Es gibt keinen Trost, wenn dein Mann stirbt. Marc war der Mensch, den ich immer gesucht hatte, und jetzt gab es ihn nicht mehr. Lieschen versuchte dennoch, mich zu trösten. Ihre Lebenserfahrung macht jede ihrer Aussagen zum Gesetz. Sie sagt oft:
›Hüt dät es mehr wieh als morje, un morje wenijer als üvermorje. Die Zit heilt dinne Wunden niemals. Un wenn du disch so von Woch zu Woch durchschleppst, dann würd jeder neue Monat un jedes Jahr ene jroße Schritt für disch! Et würd schlechte Daach jeve, schwarze Daach, vor allem Jeburtsdaach, Feierdaach un sinne Todesdaach werden disch ene Prüfung sin. Du denks, dat et nie besser würd, äver et würd!‹
Franziska ist anders als ich. Kinder sind so lebensbejahend. Sie nehmen alles, wie es kommt. Sie ziehen aus jeder Situation, egal wie aussichtslos sie erscheint, das Beste für sich heraus und sind mit dem glücklich, was sie haben.
Lieschen ist mir all die Jahre treu geblieben, anders als viele unserer Freunde. Alle kümmern sich um dich, sogar bis eine Woche nach der Beerdigung. Und dann gehen sie wieder zur Tagesordnung über, wie ein Mal die Woche Müll rausstellen. Weg und fertig. Aber wir haben niemanden loswerden wollen.
›Seine Zeit ist eben abgelaufen‹, sagen die einen, ›das ist Schicksal‹, die anderen. ›Du bist jung, du findest bestimmt einen neuen liebevollen Partner‹ meinen die total Gefühlsamputierten. Wieso ist denn, bitteschön, seine Zeit abgelaufen? Marc war keine Eieruhr. Was für ein Schicksal? Einmal antwortete ich einer Mutter im Kindergarten, die mir mit dem Schicksalsspruch kam: ›Ich kacke auf das Schicksal, dass so dumme Menschen wie euch leben lässt und Marc sterben!‹
»Wann wird dieses Gefühl endlich vorbei sein? Ich glaube niemals!«, sagte ich mit kraftloser Stimme. Ich musste entsetzlich traurig ausgesehen haben, denn Lieschen nahm mich tröstend in die Arme. Sie kennt mich so gut, sie kennt jeden kleinen Winkel meiner Seele und leidet noch heute mit mir. Sie kann sich so gut in mich hineinfühlen. Das schaffen nicht einmal meine Eltern. Ich fühlte mich wieder unendlich hilflos. »Hätte ich doch bloß nicht versucht, Maxi diese E-Mail zu schreiben. Am liebsten würde ich jetzt schreien«, schluchzte ich, »ich halte das nicht mehr aus.«
Und Lieschen hielt mich fest. Dann schaute sie mich an und sagte ernst: »Mensch, dann brüll doch«, während sie mich in den Garten zog. »Dat is minne Hus, he würd sich niemand beschwere.«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Jenau, dat is et, min Kint. Solang du disch säst, dat du et net kanns, wirste net dröver komme.«
»Aber …«, begann ich mich zu rechtfertigen.
»Äver, wat?« Lieschens Stimme hatte jetzt diesen Ton, den ich nur in Extremsituationen von ihr kannte. Sie
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