Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
Psychologinnen Eisenberg und Lennon über Empathie: »Frauen und Männer unterscheiden sich nicht so sehr hinsichtlich ihrer faktischen Empathiefähigkeit, sondern vielmehr darin, als wie empathisch sie anderen gegenüber (und möglicherweise auch sich selbst gegenüber) erscheinen wollen.«
Kinder lernen schnell, wie wichtig es ist, nach außen ein perfektes Bild abzugeben, und spielen mit – ihrer Mutti zuliebe. Aber mit der fehlenden Anerkennung in der unbeobachteten Zweierbeziehung gibt sie dem Kind keinen Grund, sich anzustrengen, keine Möglichkeit, besser zu werden. Das Kind stillzuhalten, anstatt ihm echte Zuwendung zu schenken – das ist die Erziehungsmethode der Muttis, wenn keiner zuschaut.
Auch wenn Kinder mal wirklich Mist bauen, Wände bekritzeln, Saftbecher umschmeißen oder den Hund an den Schwanzhaaren ziehen, wird Mutti das, wenn es ihr in den Kram passt, ignorieren oder schönreden. »Jaja, mein Tom ist eben ein richtiger Rabauke!«, heißt es dann, wenn er einem anderen Kind auf dem Spielplatz eins mit dem Schäufelchen übergebraten hat. Und wenn der liebe Tom in einem Wutanfall eine Zeitschrift zerfetzt hat, die sie noch lesen wollte, dann schickt sie ihn wortlos auf sein Zimmer. Eine verantwortungsbewusste Erziehungsmethode wäre: Fehler klar und ruhig benennen, das Kind auffordern, den Fehler zu beseitigen, und es dann für den Fortschritt loben. Stattdessen wird unterschiedslos gelobt – oder geschwiegen. So lernt das Kind, der Mutti nur seine Schokoladenseite zu präsentieren und sich ansonsten keine große Mühe zu geben. Die Freude an der Verantwortung, an der eigenen Entscheidung wird konsequent zunichtegemacht.
Und in der Schule? Dort bekommen die Kinder doch ein eindeutiges Feedback in Form von Noten. Können die Lehrer und Erzieher das Versagen der Muttis ausgleichen und die Kinder zu Freiheit und Verantwortung erziehen?
Interessiert schaute ich in die Runde, die sich im Raum versammelt hatte: zehn Lehrerinnen und zwei Lehrer von den verschiedenen Schulen im Umkreis. Wir trafen uns alle 14 Tage zur Balintgruppe. Das heißt: eine Supervisionsgruppe, in der unter meiner Moderation Lehrerinnen und Lehrer einander von Erfahrungen und Problemfällen mit Schülern, Eltern und Kollegen berichteten, diese zusammen analysierten und einander berieten. An diesem Tag war hin und her diskutiert worden, es war viel geklagt und geschimpft worden. Und in mir war eine Frage aufgetaucht, die ich jetzt stellte: »Warum seid ihr eigentlich Lehrer geworden?«
»Um Kleine zu beherrschen«, erwiderte spontan eine der Lehrerinnen. Als sie merkte, was sie gesagt hatte, versuchte sie noch, es als einen Witz erscheinen zu lassen. Die anderen schauten sie entsetzt an und fielen sofort über sie her. Aber ich hatte den Eindruck, dass sie einen Nerv getroffen hatte. Sie hatte etwas ausgesprochen, das die anderen in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verdrängt hatten.
Bei der Lehrerausbildung gibt es keine Persönlichkeitstests, die über die Eignung entscheiden. Es wird auch nicht gezielt an der Persönlichkeitsentwicklung gearbeitet. Die Chance ist groß, dass ein Kind, das zu Hause bei Mutti gelernt hat, seine eigenen Gefühle und Wünsche zu unterdrücken, um im Mutti-Kosmos zu funktionieren, an Lehrer gerät, die ihren Unterricht genauso abhalten wie die Muttis ihr Regiment zu Hause: Brav und angepasst sein wird belohnt, Widerspruch und Eigeninitiative werden bestraft. Muttis und Mutti-Lehrer sind ein Gespann des Schreckens. Gleichermaßen sehen beide nicht, dass freie, eigenständige Kinder bereichernd sind; sie sind ihnen einfach nur unbequem. Denn sie sind anstrengender als die angepassten Kinder, sie fordern ehrliche Zuwendung und stellen unbequeme Fragen. Also werden die Kinder auch in der Schule klein gehalten. Sie lernen, sich anzupassen, oder schießen gnadenlos quer. In beiden Fällen sind sie verloren.
3
Mutti reibt sich für euch auf
»Hallo Schatz, wie war dein Tag?« Schwungvoll stößt Michael die Wohnungstür auf.
Überrascht schaut Petra auf; so früh kommt er selten von der Arbeit. Sie hat gerade erst angefangen, das Abendessen zu richten. Ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, ruft sie in den Flur: »Oh, hallo Michael! Schon zu Hause?« Petra hört, wie hinter ihr die Tür aufgeht und Michael in die Küche kommt. Sie legt die frisch geschälte Karotte zu den anderen und greift sich die nächste. Währenddessen erzählt sie: »Ganz in Ordnung war’s bei uns. Natürlich wieder
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