Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)
nirgends.
Sogar über die eigene Mutter kann sich ein Teenie auf diese Weise nachhaltig Gedanken machen. Kann niederschreiben, dass er sie manchmal peinlich, ungerecht oder tyrannisch findet. Auf diese Weise Opposition auszudrücken kann insbesondere für Mutti-Kinder, die nicht offen widersprechen dürfen, ein wichtiger Notausgang sein. Damit ist das Tagebuch zugleich auch ein wichtiges Refugium, in dem jemand gerade in der Adoleszenz, ungestört von den Erwartungen anderer, zu sich selbst finden kann.
Weil es Dinge enthüllt, die niemand anderen etwas angehen, ist es ein schwerer Einbruch in die Privatsphäre eines Menschen, ohne ausdrückliche Erlaubnis in einem fremden Tagebuch zu lesen. Wenn der heimliche Leser dann auch noch sein Wissen ausposaunt oder es gegen den Tagebuchschreiber verwendet, ist der Schaden irreparabel. Schlimmer als dadurch, dass einer zu erkennen gibt, dass er die geheimsten Gedanken des anderen gelesen hat, kann man einen jungen Menschen kaum verletzen und herabsetzen.
Ein Eindringling, der sich heimlich Zugang zu dieser Quelle verschafft, gesteht seinem Gegenüber keinerlei privaten Freiraum, keine Geheimnisse zu. Er will auch noch den letzten Winkel des anderen ausforschen und vereinnahmen. Dieser wird so zu einem Leibeigenen, auf dessen intimstes Leben jederzeit zugegriffen werden darf.
Solch ein Verhalten ist typisch für eine Mutti. Sie beansprucht, alles, wirklich alles über den Sohnemann und das Töchterlein zu wissen, unabhängig davon, ob die damit auch einverstanden sind.
»Ich weiß, was du wirklich fühlst«
Ein wichtiges Element in Muttis Regiment ist das Verschweigen und Verschleiern ihrer eigenen Gefühle. Der Sohn will unbedingt E-Gitarre spielen lernen – kommt überhaupt nicht infrage! Denn Mutti hat schlichtweg keine Lust auf Krach. Immerhin ein berechtigter Einwand. Sie könnte ihn einfach äußern, dann würde sich ja vielleicht sogar eine Lösung finden. Stattdessen schiebt sie aber vor, dass das Instrument viel zu teuer ist und mit dem gesamten Zubehör auch zu sperrig. Außerdem heißt es subtil: »Du hast doch so ein musikalisches Gehör, mit der E-Gitarre machst du dir die ganzen Feinheiten kaputt. Spiel lieber Opas Geige, damit kannst du zeigen, was in dir steckt!«
Wie soll ein Kind jemals lernen, worum es wirklich geht, wenn Muttis wahre Gefühle erst gar nicht thematisiert werden? Wahre Beweggründe werden maskiert und bleiben versteckt, können bestenfalls erahnt werden. Wenn keine klaren Verhältnisse herrschen, bewegt sich das Kind zeitlebens auf einem Minenfeld; ein falscher Schritt, und es knallt. Kein Wunder, dass viele Mutti-Kinder niemals ein grundlegendes Vertrauen in die Welt aufbauen können.
Sogar vor den wichtigsten Entscheidungen, denen, die direkt die Zukunft des Kindes beeinflussen, macht die Selbstsucht der Mutti nicht halt. Natürlich ist sie sich sicher, dass ihr Kind aufs Gymnasium gehört. Auch wenn es sich morgens aus Angst vor der Schule am liebsten im Keller verstecken würde und viel lieber vor seinem Technikbaukasten als vor den Englischhausaufgaben sitzt. Dass in ihrem Kind statt eines Juristen oder Ingenieurs vielleicht ein begnadeter Elektriker, Schuster oder Schreiner stecken könnte, kommt den Muttis nicht in den Sinn. Handwerk hat aus ihrer Sicht nur für die Kinder der anderen Mütter goldenen Boden.
Muttis wollen nur das Beste für ihr Kind – und was das ist, weiß keiner so gut wie sie. Schließlich kennen sie ihren Sprössling länger als er sich selbst. Sie sind überzeugt davon, ein untrügliches Gespür dafür zu haben, was zu ihrem Kind passt und was nicht. Sie meinen, sofort erkennen zu können, was langfristig nützlich ist und was sich nur als eine kurzfristige Neigung oder gar Geschmacksverirrung ihres Kindes herausstellen wird. Legitimiert durch die enge Verbindung mit ihrem Kind, ist die Mutti sich jederzeit gewiss, besser als die Erzieherin, die Lehrerin, die Kinderärztin zu ergründen, was dem Kind guttut, auch wenn sie weder Pädagogin ist noch Medizin studiert hat. Und natürlich weiß sie es auch besser als das Kind selbst.
Diesen Instinkt sehen Muttis durch ihre weitreichende Lebenserfahrung ergänzt und unterstützt – Erfahrungen, die die Kleinen ja noch gar nicht haben können. Kein Wunder also, dass der Nachwuchs mit seinen Wünschen so oft neben dem liegt, was aus Muttis Sicht wirklich gut für ihn ist. Sie ist sich vollkommen sicher: Später einmal wird das Kind dankbar dafür sein, dass
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