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Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)

Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition)

Titel: Mutti ist die Bestie: Die heimliche Diktatur vieler Mütter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Milsch
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Mittags gibt es was Warmes, nachmittags steht die Kekspackung immer in Griffweite. Gesundheitsbewusste Mütter sind da nicht unbedingt besser. Da gibt es dann eben Dinkelcracker und Mohrrüben- und Apfelschnitze. Abends nimmt sich jedes Familienmitglied aus dem Kühlschrank, worauf es gerade Lust hat, und futtert vor dem Fernseher vor sich hin. Wenn der Teller leer ist, sind die Chips an der Reihe. Der Mund ist nie leer, der Magen ständig beschäftigt. Echtes Hungergefühl kann gar nicht mehr aufkommen, bestenfalls Appetit auf dieses oder jenes, der sofort befriedigt wird. In diesem oralen Dauerexzess werden die Geschmacksknospen fortwährend gereizt. Es ist wie ein Tinnitus. Und die Muttis sorgen dafür, dass dieser Tinnitus nie aufhört.
    Gerade beim Essen sind Menschen ihren Muttis ausgeliefert. Sie füttert, sie drängt, sie bestimmt, was es gibt, wann und wie oft. Die den ganzen Tag über stattfindende Dauermahlzeit bringt keine echte Sättigung. Aber sie bedeutet auch, dass das Kind kein Gefühl für seine eigenen Bedürfnisse entwickeln kann. Die Nahrungsaufnahme wird zum Automatismus; schnell ist eine ganze Tafel Schokolade weg, ohne dass das Kind es so richtig merkt.
    Das ständige Füttern der Kinder ist für Mutti eine einfache Art, ihre Fürsorge zu demonstrieren und sich Dankbarkeit zu sichern. Sind die Bedürfnisse des Kindes erst einmal aufs Essen reduziert, braucht sich Mutti keine weiteren Gedanken mehr zu machen. Dass ihr Kind immer dicker wird, nimmt sie oft nicht einmal wahr. In einer Studie des Psychologischen Instituts der Universität Potsdam, geleitet durch die Psychologin Petra Warschburger, wurden Müttern gezeichnete Silhouetten von unterernährten, normalgewichtigen, übergewichtigen und fettleibigen Kindern gezeigt. Sie sollten sagen, welche davon der Figur von real anwesenden Kindern entsprachen. Die Statur fremder Kinder konnten die Mütter recht gut einschätzen, hier lagen fast zwei Drittel von ihnen richtig. Anders bei den eigenen Kindern. Nur etwa 40 Prozent der Mütter wählten die Silhouette aus, die dem objektiven Gewichtsstatus ihres Kindes entsprach. Vor allem Mütter, deren Kind zu viel auf den Rippen hatte, lagen mit ihrer Einschätzung daneben – fast 80 Prozent von ihnen unterschätzten den Gewichtsstatus ihres Kindes. Kein Grund zur Sorge für Mutti: Schließlich glaubten mehr als 70 Prozent der befragten Mütter, dass übergewichtige Kinder nicht mit seelischen Leiden oder körperlicher Entwicklung zu kämpfen hätten.
    Oft sind es übergewichtige Mütter, die übergewichtige Kinder haben. »Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind fettleibig wird, ist besonders hoch, wenn mindestens ein Elternteil stark übergewichtig ist – und zwar drei- bis viermal so hoch«, konstatiert die Studie »Obesity and the Economics of Prevention: Fit not Fat«, die 2010 von der OECD veröffentlicht wurde. Das ist nur zum Teil mit genetischer Veranlagung und erblichen Stoffwechselproblemen zu erklären. Vielmehr sind es einfach die Essgewohnheiten, die dem Kind anerzogen werden.
    Ganz oder gar nicht
    Übergewicht in der Breite der Gesellschaft ist eine Folge infantiler, maßloser Essgewohnheiten. Mutti-Systeme fördern aber auch genau das Gegenteil: Magersucht.
    Wer wird magersüchtig? In meinem Praxisalltag sind es meistens pubertierende Töchter von sehr eng gestrickten, scheinbar harmonischen und wohlsituierten Familien, in denen Konflikte nicht zur Sprache kommen. Kurz gesagt: von Mutti-Familien. Die Mädchen waren als Kinder immer freundlich und angepasst. Jetzt fängt ihr Körper allmählich an, sich zu verändern. Sie müssten eine neue Identität für sich selbst finden, und zwar im Widerstand und im Konflikt mit den Eltern. Das ist ihnen unheimlich.
    Magersucht ist eine Methode, diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Die Besorgnis, die sie bei den Eltern auslöst, sichert noch für ein Weilchen länger liebevolle Zuwendung. Auch früher schon wurde die Harmonie, die Fürsorge in der Familie über das gemeinsame Essen ausgedrückt; eine Ersatzform, da über echte Gefühle nicht gesprochen wird. Durch die Magersucht wird die Aufmerksamkeit der ganzen Familie stark auf diesen Bereich fokussiert; ständig müssen sie beim Essen beobachten, wie wenig das Kind zu sich nimmt, und drängen. Umgekehrt kann die Magersüchtige ihre Liebe zu Eltern und Geschwistern darüber ausdrücken, dass sie exzessiv für sie kocht und backt – ohne natürlich vom Selbstgekochten mitzuessen.
    In

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