Mutti packt aus
immer weiter«, erklärt sie eifrig und trumpft auf: »Also stammt die Oma von den Affen ab!« Dann runzelt sie die Stirn. »Und, Mama, von wem stammen eigentlich die Affen ab?« Doch bevor ich noch eine kindgerechte Kurzfassung von der Entstehung des Lebens auf unserem Planeten zusammengestoppelt kriege, den Streit zwischen Kreationisten und Darwinisten würdigen oder ein passendes Buch reichen kann, prescht Charlotte schon weiter vor. »Wo is’n eigentlich der Anfang?«, fragt sie. »Ist das wie Unendlichkeit, eine Unanfanglichkeit?« Oh je, das hatten wir gestern. »Was ist denn die Unendlichkeit?« kontemplierte sie nachdenklich, als wir vorm Schlafengehen den Sternenhimmel betrachteten und sie wissen wollte, wie es da oben weitergeht, hinter den Sternen.
Zu den unerwarteten Freuden der Elternschaft gehört das Gespräch, auch wenn sich in die Begeisterung über die ersten Worte schon bald die Ahnung mischt, dass nun, wo das Kind angefangen hat zu reden, es wohl niemals wieder damit aufhören wird.
Steht man dann unter Fragen-Dauerbeschuss, macht man sich kaum klar, wie dankbar man dafür sein müsste, dass Kinder von selbst so viel reden und so viele Fragen stellen. Wenn sie nämlich nicht fragen würden, müsste man fortwährend sein Gewissen erforschen und überlegen, was man ihnen alles noch zeigen und erklären müsste. Ständig wäre man der grausamen Angst ausgeliefert, ob man nicht irgendetwas ganz Wichtiges vergessen hat. Hat man ihnen je erklärt, wie Wolken entstehen? Dass die Milch nicht im Tetra-Pack wächst? Wie die Musik ins Radio reingekommen ist, bevor sie rauskommt? Dass man in Lateinamerika keineswegs Latein spricht?
Glücklicherweise ersparen uns die Kinder solcherlei hochnotpeinliche Selbstbefragungen. Wir müssen eigentlich nur hinhören, antworten und dürfen so ganz nebenbei sicher gehen, dass sie auf diese Art das nötige Grundwissen zum Leben ansammeln. Ja, wenn es einem ernst ist mit der frühen Bildung, muss man jede Frage willkommen heißen! Wenn Kinder sich an der Vorstellung versuchen, dass es im Weltraum kein Oben und Unten gibt, das Geheimnis der Unendlichkeit ergründen, das Wunder des Lebens bestaunen oder Fragen darüber, was gerecht und was total gemein ist, disputieren, dürfen Mütter nicht kneifen. Deshalb wage ich nie mehr, eine Frage zu überhören, eine Antwort schuldig zu bleiben oder mich mit der fortgeschrittenen Tageszeit herauszureden.
»Was ist eigentlich ein Stern?«, kommt es aus dem Bett, gerade als ich die Kinderzimmertür hinter mir zuziehen will. Fast hätte ich beherzt zu einer Lektion in Astrophysik für Sechsjährige ausgeholt. Doch dann habe ich einfach mal zurückgefragt. »Warum willst du das wissen?« Sie lächelt listig, beinahe überlegen. »Weil du dann noch ein bisschen hier an meinem Bett sitzen bleibst und mit mir redest!«
Ausfluch…
»Blöde Mama!!!«, kreischt das Wesen, das ich vor drei Jahren unter Schmerzen geboren und soeben mit aller Entschlossenheit in einen kakelbunten Anorak gestopft habe. Der große Bruder zieht sich die Schuhe an – in Zeitlupe. Die große Schwester hat sich im Klo eingeschlossen. Nur das Baby, das ich auf meinem Bauch festgezurrt habe, lächelt mich vertraulich an, weil es ihm vermutlich völlig egal ist, wo es verschaukelt wird. Denn wir werden jetzt, weil ausnahmsweise mal die liebe Sonne lacht, einen Ausflug machen. Nicht die Sendung mit der Maus angucken, kein Krokodil aus Eierkartons basteln, nicht länger im Schlafanzug herumdümpeln, kein Playmopiratenschiff vom Stapel lassen und leider auch keine Sonntagszeitung in Ruhe lesen. Und der gameboy bleibt auch kalt.
Bitte, wer Kinder hat, muss Opfer bringen. Denn Kinder brauchen bekanntlich Vitamin D wie Karrierehengste Vitamin B, und das können nur Bewegung, frische Luft und Sonne bringen. Also raus aus dem Haus. Und zwar alle: Die fürsorglich gemeinte Erörterung möglicher Unternehmungen an diesem Sonntagmorgen hat die ganze Familie an den Rand strafbewehrter Tätlichkeiten gebracht und tiefe Gräben aus totaler Verweigerung und wüsten Anschuldigungen zwischen Blutsverwandten gezogen. Die Enden zerrissener Geduldsfäden zucken wie verirrte Blitze durch die Wohnung. Es fließen Tränen. Jeder will etwas anderes und keiner will, was ich auch nicht will, was aber sein muss: Spazierengehen. Was habe ich nicht alles an Überredungskünsten aufgeboten, neben denen die Motivationsmätzchen der Animateure vor lauter Adipösen auf Mallorca schier
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