Mutti packt aus
Zahnfee hingestellt hatte, zierlich mit meinem kleinsten Zahn anbiss.
Ich habe lange geleugnet. Ich wollte das mythische Terrain nicht studentischen Hilfskräften überlassen, die in Kaufhäusern als Nikoläuse mit Mundgeruch auftreten. Oder den archaischen Mysterien des Zahnwechsels achselzuckend begegnen und die Chance verpassen, ein Kindergesicht leuchten und den Gebrauch der Zahnbürste zur Routine reifen zu lassen. There’s magic: Noch heute sehe ich im Nebel, der aus dem Wald aufsteigt, die Füchse Kaffee kochen. Rufe meinen Schutzengel bei Fuß, wenn ich nachts alleine U-Bahn fahre. Sehe Nixchen in jedem Tümpel baden.
Es ist doch so: Ab dem Moment, in dem das Kind zum ersten Mal in den Knubbeln der Raufasertapete eine Fratze erkennt und angesichts eines Vogelschiss bezaubernderweise vermutet, ein Stück Wolke sei vom Himmel gefallen, eröffnen sich wundersame Möglichkeiten, das Familienleben mit allerlei Zwischenwesen anzureichern. Klappersto rch, Osterhase und Zahnfee sind auch enorm hilfreich dabei, erzieherische Etappensiege einzufahren, die pädagogisch wertvoll sind und ohne das Drohpotential des Rattenfängers von Hameln auskommen. Der Sandmann schickt die Kinder ins Bett, nicht die böse Mutter, die dem »Tatort« entgegenjiepert. Großzügig hat einst die Schnullerfee an meiner statt den Zorn des Kleinkindes auf sich geladen, als sie den Schnulli kurzerhand einkassierte und an bedürftige Babys weiterleitete. Und okay, Leute, das Sockenmonster wohnt in der Waschmaschine und frisst unschuldige Ringelsocken kaltherzig von der Seite ihrer Lebensgefährten weg.
Im besten aller Glauben habe ich die älteren Geschwister auf eine paar nützliche Legenden eingeschworen, mit denen ein Doppelagent vor Stasi und BND gleichermaßen bestanden hätte. Sogar gute Miene zum bösen Spiel gemacht, wenn sie selbst behauptet haben, dass es wohl mal wieder der Heilige Geist gewesen sein muss, wenn irgendwo Schokolade fehlte, Sparschweine geknackt und Fahrradschlüssel verschlampt wurden. Nun fliegt der ganze Zauber auf, denn mein Baby ist gerade sieben geworden und ich war naiv genug zu denken, er wüsste sowieso Bescheid. Von wegen vorzeitiges Erwachsenwerden, ein Gefühl von grellem Schein werferlicht, verblassendem Zauber. Was hätten wir beide drum gegeben, wenn jetzt ein glockenfröhliches Rentier unerwartet den Kopf durchs Küchenfenster gesteckt hätte.
Aber sein Schock war nichts im Vergleich zu meinem. Denn von nun an würde ich alles selbst tun müssen. Wunschzettel abarbeiten, bis die Kreditkarte Blasen wirft. Selbst Eier verstecken, während der arbeitslose Osterhase mit den Hühnern um die Häuser zieht. Das seismische Beben der Wackelzähne erspüren, irgendwo einen Euro auftreiben und blank putzen. Zum Zähneputzen zwingen. Ja, es wird noch so weit kommen, dass ich die Verantwortung für die Existenz der Geschwisterrunde übernehmen soll, jetzt wo der Klapperstorch aufzufliegen droht.
Ganz ohne die hilfreichen Helfer der himmlischen Zeitarbeitsfirma fühle ich mich mutterseelenallein. Gäbe es sie nicht, müsste man sie glatt erfinden.
Fragen
»Du Mama«, erkundigt sich Charlotte freundlich, »Oma stammt doch von den Affen ab, ne?« Vor Schreck fällt mir die Kaffeetasse aus der Hand. »Sag mal, spinnst du?«, rutscht es mir einfach so raus. Ich geb’s ja zu, morgens um sieben ist meine pädagogische Performance unterirdisch. Doch nach dem ersten Kaffee fällt mir immer wieder ein, dass man stets offen, zugewandt und liebevoll mit Kindern sprechen soll! Huldvoll nimmt die Gekränkte meine Entschuldigung entgegen und bedeutet mir mit einer kleinen graziösen Handbewegung, dass ich mich wieder erheben darf. Ihr rundes Gesichtchen ist rein und blank und ohne Arg. Warum auch sollte sie ihre geliebte Oma beleidigen wollen? Ich wische die Kaffeepfütze auf und weiß, ich muss auch heute wieder sehr tapfer sein. Diese erste Frage war der Startschuss – Bahn frei für die nächste Runde wildgewordener Fragen, die mir auch heute wieder in den Ohren klingeln, den Bauch löchern, sich an meine Fersen heften, sich in meine Waden verbeißen und meinen Ruf als Bescheidwisserin für alles und jedes ramponieren werden. Eine entfesselte Meute hungriger Worte jagt nach Beute – jedes einzelne Weshalb und Warum giert nach dem passenden Deshalb und Darum .
»Also, das ist doch so. Jeder Mensch hat eine Oma und die hat wieder eine Oma und bis in die Steinzeit und dann kommen auch schon die Affen, und so geht es
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