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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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nicht vor die Tür gehen.« Dann zirpt sie: »Und deine Hose. Findest du so was eigentlich gut?«, rollt mit den Augen und zupft den Spaghettiträger an ihrem Glitzertop zurecht. »Krass peinlich«, kommentiert ihr Bruder meinen verschrabbelten Rucksack und näselt im Ton von Karl Lagerfeld: »In deinem Alter solltest du Handtaschen tragen. Von Prada oder so.« Auf mein freundliches Anerbieten, das eine oder andere Kind vom Kindergeburtstag abzuholen, gibt man sich neuerdings reserviert. »Brauchst nicht hochzukommen, reicht ja, wenn du klingelst. Sonst trinkst du wieder so viel Sekt mit den anderen Müttern, und wir müssen das Auto stehen lassen.« Und zum Elternabend werde ich ja schon länger mit dem Satz entlassen: »Sag bloß nichts, wofür ich mich morgen schämen muss.«
    Dass man in meiner Gegenwart jederzeit mit einer Blamage rechnen müsse, habe ich als Kind oft zu hören gekriegt. Dann war eine Weile Ruhe, und jetzt geht das schon wieder los. Dabei habe ich doch alles getan, um meinen Kindern das Gefühl zu ersparen, etwas an ihnen sei peinlich, blamabel oder reinweg zum Schämen. Nicht mal im Traum hätte ich das Zartgefühl eines Babys verletzt, um Farbe, Geruch und Konsistenz seines Windelinhalts mit anderen Müttern zu erörtern. Niemals habe ich ins Taschentuch gespuckt, um damit vor der Haustür der Gastgeber einen Schmierfleck aus einem Kindergesicht zu wischen. Im Gegenteil: In Begleitung halbtrockener Zweijähriger habe ich mich, stets getragen von lächelndem Selbstbewusstsein und sehr würdevoll, nach dem Weg zur Toilette erkundigt – bei Aldi, in der Kirche, im Theater, im U-Bahnhof. Ist doch keine Schande, wenn mal was ins Höschen geht! Auch bin ich tapfer mit meinem vierjährigen Sohn in den Kindergarten gegangen, als er sich morgens weigerte, in seine Jeans zu springen, und lieber im Schlafanzug und mit Gummistiefeln durch den kühlen Frühlingsmorgen stapfte. Das Kopfschütteln der Hauswartsfrau, die strafenden Blicke der Passanten und das hämische Grinsen des bettelnden Penners habe ich ignoriert und mich über die wissenden Blicke anderer Mütter nicht gewundert, die gerade mit Prinzessinnen unterwegs waren. Als meine Tochter dann vier war, trug sie drei Wochen lang ausschließlich ihr Indianerkostüm, ausladenden Kopfschmuck und grelle Kriegsbemalung.
    Man darf sich eben auch in Fragen des Outfits nicht so sehr vom Urteil anderer Leute abhängig machen. Einfach tief durchatmen, die Haltung einer Königin annehmen und mitten durch volle Einkaufsstraßen seiner Wege ziehen. Denn es steht einem noch so einiges bevor: Je älter und selbständiger ein Kind wird, desto mannigfaltiger werden auch die Möglichkeiten, seine Eltern in Verlegenheit zu stürzen. Stichwort Haar e/ Kleidun g / Benehme n/ Drogen.
    Ich hab ja wirklich für vieles Verständnis. Dass man neunjährige Männer am Bus zur Klassenfahrt nicht mit privaten Kosenamen oder abschiedswehen Küsschen behelligt, ist mir völlig plausibel. Dass mütterliche Sorge schlecht ankommt, wenn man mit wärmenden Textilien im Schneesturm hinter ein paar wilden Kerlen herläuft, die in kurzen Hosen auf dem Weg zum Kicken sind, habe ich auch kapiert. Weil Pullover nur Kleidungsstücke sind, die Kinder anziehen müssen, wenn ihre Mütter frieren.
    Und dann ist plötzlich alles anders. Auf einmal fühlen sich die Kinder blamiert, wenn jemand aus der Familie, also ich, geschmacklich ausschert oder sonst wie aus der Reihe tanzt. Offenbar haben sie ein Gespür für Takt, Anstand und angemessene Kleidung entwickelt. Meine erzieherische Liebesmüh war wohl doch nicht ganz vergeblich.

Verklemmt? Wir doch nicht!
    »Na, wie weit ist er denn schon offen, der Muttermund?«, fragt mich Kurt in freundlicher Beiläufigkeit an diesem fahlen Winternachmittag am Rand der Buckelpiste, die sein Sohn und mein Sohn gerade altersgerecht mit ihrem Schlitten befahren. Ächzend verlagere ich mein enormes Gewicht von einem Bein aufs andere. »Gerade mal drei Zentimeter«, schnaufe ich und Kurt nickt mitfühlend. »Da hast du ja noch ganz schön was vor dir«, sagt er, »so passt da ja noch nichts durch.« Nicht dass wir uns näher kennen würden, geschweige denn seine intime Kenntnis meiner inneren Flächen vorauszusetzen wäre. Nur eine flüchtige Bekanntschaft teilen wir, die sich vor ein paar Tagen über die Kinder eben so ergeben hat. Die Frage hätte mich früher schockiert und als Grund für einen umgehenden Kontaktabbruch genügt. Doch seit ich zum ersten Mal

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