Mutti packt aus
nehmen es sehr krumm, wenn ihre Brüder am BH-Träger zupfen und Bemerkungen über Entwicklungsstände machen. Jungen sterben schon beim Gedanken daran, ihre Mutter könnte ohne anzuklopfen ins Zimmer stürmen. Wir müssen diese Schamhaftigkeit akzeptieren und mäßigend auf jüngere Geschwister einwirken, während wir boshaft in uns hineinlachen – das gibt sich mit den Jahren. Dass es wiederkommt, müssen wir ihnen ja nicht unbedingt verraten …
Mutters Tage
»Muttertag ist der einzige Tag im Jahr, an dem man Mama nicht ärgern darf!« Mit diesen schlichten Worten erklärte sich mein kleiner Bruder vor vielen, vielen Jahren den merkwürdigen Umstand, dass unser Vater wie andere Väter auch an diesem zweiten Sonntag im Mai uns Kinder zum Tischdecken, Kaffeekochen und Wohlverhalten anhielt. Blumen wurden gereicht, bemalte Herzen aus Papier geschnitten. Damals wie heute sind in den Tagen vor dem Muttertag in Kindergärten, Schulen und am Küchentisch gewöhnlich die Teufel los: Es wird gebastelt, gemalt, geklebt und geschnippelt, bis die Schwarte kracht. Als ob das nicht schon schön genug wäre, rüsten Pralinenfabrikanten, Nippeshersteller und Blumenhändler zum Großkampftag. Sogar Telefonanbieter, sonst nicht für preisliche Zurückhaltung bekannt, locken mit kostenfreien Sprechminuten am Muttertag. Von Plakatwänden schreien uns Parolen an, in Werbespots fordern rührende Szenen zwischen Blutsverwandten Tribut in Gestalt von Kaufakten, es dudelt auf allen Kanälen ein vielstimmiges Lied von der Notwendigkeit, doch einmal (!) Danke zu sagen: Ehre das Mutterherz, so lange es lebt. Wenn es gestorben ist, ist es zu spät. Süße Schokolade ummäntelt das Gift. Florale Arrangements tarnen den Dolch. Bunte Herzen bergen bittere Pillen. Ein profitables Komplott mit Verwöhn-Aroma überlagert den Odeur schwärender Schuldgefühle.
Nur deshalb wird so unerschöpflich Material feilgeboten, um Muttern nach Strich und Faden zu ehren – wenigstens einmal im Jahr. Und die restlichen 364 Tage vergehen wie gehabt: Soll sie doch zusehen, wie sie Job und Kinder gestemmt kriegt. Ist sie doch selbst schuld, wenn sie zu Hause den Löwenanteil beim Putzen, Backen, Waschen und Kochen leistet. Ja, wer denn sonst, wenn nicht die Mutter ist für die schulische Performance des Kindes verantwortlich! Dass man sich um all das kümmern muss, weiß man doch schließlich, bevor man Kinder kriegt! Die Diffamierung und Diskriminierung erwachsener Frauen durch duftende Gewächse im Wonnemonat Mai darf nun schon auf eine fast hundertjährige Geschichte zurückblicken. Seit die Frauen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begannen, ihre Hälfte des Himmels einzufordern – Arbeit, Bildung, eigenes Geld –, floriert der Umsatz, denn er wurzelt im nährenden Dung der Schuldgefühle. Schlechtes Gewissen macht gute Geschäfte: Einmal im Jahr werden Mütter mit Millionen pflanzlicher Gegengaben und Stapeln süßer Sünden in Stanniolpapier, die kurz vor dem großen Tag über die Ladentische wandern, umfassend entschädigt. Na toll. Aber danke für die Blumen!
Vielleicht sehe ich das auch zu eng. Und will nur, was alle Mütter wollen: ein bisschen Ruhe – vor den Geschäftemachern, nicht den Kindern. Als ich vor drei Tagen in einer Drogerie versuchte, Rohrreiniger, Nagellackentferner und fünf neue Zahnbürsten zu erstehen, und beim Bezahlen von der Kassiererin mit drängender Freundlichkeit erst an den Muttertag gemahnt und dann mit einem Geschenkcoupon ausgestattet wurde, ist mir fast der Kragen geplatzt. Der Coupon stellte mir die kostenlose Lieferung eines Rosenstraußes an meine eigene Mutter in Aussicht, der ich gehalten wäre einen solchen zu senden, wobei ich nicht mehr als zehn Euro dafür berappen müsse – super-dooper-dumping-Angebot! Was soll der Mist? Warum herzlich, wenn’s auch billig geht? Dass mir bei amazon seit Tagen die frohe Botschaft entgegenspringt, ein Kindle sei das schönste Geschenk zum Muttertag, finde ich schon wieder witzig – und so wahr. Was, wenn nicht ein Kindle, macht erwachsene Frauen überhaupt zu Müttern?
Zugegeben, sogar mir geht das Herz auf, wenn sich die feierliche Prozession giggelnd vor meiner Zimmertür sammelt, mir mein Jüngster zum Muttertag einen Kaffee ans Bett bringt, mein Ältester mit einem geklauten Fliederzweig wedelt und die Mädchen einen bemalten Eierkarton zum Krokodil ausrufen: Nur für dich, Mama! Ja, mein Bücherregal ist voll von über die Jahre hinweg gebastelten
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