Mutti packt aus
müssen sie deshalb dauernd Sachen sagen wie »Von Herr Fliegel habe ich ein Zettel für dich gekriegt!«, wenn sie aus der Schule kommen? Das klitzekleine »n«, das den Akkusativ oder Dativ ziert, ist bei uns praktisch in Vergessenheit geraten, seit sie in die Schule gehen. Denn seitdem reden sie, wie sie in der Schule reden. Dem kleinen »s« erging’s auch nicht besser. »Letztemal hat Herr Fliegel gesagt, dass ich wieder die Hausaufgabe vergessen habe!«.
Dabei wachsen sie durchaus zweisprachig auf. Bei uns zu Hause darf man »Klo« oder auch mal »Hä?« sagen, woanders heißt das »Toilette« und »wie bitte?« Und umgekehrt? Dass es Muttersprache heißt, ist ein gewaltiger Irrtum. Wie Schwämme saugen sie auf, was sie andere reden hören, ganz egal, was die Mutter sagt. »Ey, was geht’n bei dir?«, spricht mein Kind zu mir, als hätten wir den gleichen Bewährungshelfer. Und knurrt drohend zu seinem Bruder: »Alter! Ich weiß, wo dein Bett schläft.«
Wenn bei Eltern die Alarmglocken läuten, weil aus dem Mund ihrer Kinder Worte entweichen, die sie irgendwo aufgeschnappt haben, hat das nur damit zu tun, dass Eltern allein gemeinhin dafür verantwortlich gemacht werden, wie ihre Kinder reden und im schulischen Schriftspracherwerb vorankommen. Völlig zu Unrecht! Akzente, Dialekte, Aussprache, Flüche – alles geeignet, um Eltern aufhorchen zu lassen, denn solche Schnitzer gefährden das hehre Ziel, das Kind in der Akademie des Heiligen Snobinians für soziale Aufsteiger aufgenommen zu wissen. Dabei können Eltern überhaupt nichts dafür, wie ihre Kinder reden, weil Kinder nur auf andere Menschen hören.
Deshalb habe ich mir das gestrenge »Wie heißt das richtig!« wie auch die meisten der vielstrapazierten Ermahnungen verkniffen und mich nur scheinbar taub gestellt, wenn das Verb im Kindergartensprech verschüttgegangen ist. Es bei einem bösen Blick bewenden lassen, wenn im Schulsprech Herr Fliegel mal wieder das »n« verloren hat. Mein Unbehagen über manches sprachliche Gestolper beiseitegeschoben und mich an den Preziosen gefreut, wenn meine Tochter den Marmorkuchen mit Bruderzucker bestäubte, sich ein Fahrrad mit Klangschaltung wünschte und freundlich anbot, ein paar Grundstücke vorzuführen. Den leichthändigen Umgang mit der Sprache kann man ja gar nicht genug preisen, dachte ich und wagte es nie, die freudige Entdeckung der Wortschätze zu behindern, indem ich ständig an Aussprache, Grammatik oder Ausdrucksweise meiner Kinder herummeckerte. Die einzigen Wörter, für die ich jemals gekämpft habe, waren »bitte« und »danke«, um den Rest habe ich mich absichtlich nicht gekümmert.
Dann kam der Coolsprech. Und das habe ich jetzt davon: »Sag mal«, nuschelt meine Tochter im türkischen Imbiss, zu dem ich sie alle vier eingeladen habe, »haben die hier auch Teller-Style oder nur so’n Falaffel-auf-die-Hand-Format?« Ihrem älteren Bruder tropft die Knoblauchsoße vom Kinn. Er schmatzt genüsslich. Eine halbe Peperoni fällt ihm aus dem Mund, als er knapp bemerkt: »Todesgeil!«. Was das denn schon wieder heißen soll, frage ich ärgerlich. Er schluckt. »Das ist der Hyperlativ von totgeil. Wusstest du noch gar nicht, hä?«
Mamamobil
»Bin ins Wasser gefallen. Holst du mich ab?«, simst mein Jüngster, den ich vor einer halben Stunde zum Rudern gebracht habe. Na klar, mein Schatz! Hab ja sonst nichts zu tun. Außer seine Schwester zur Klavierstunde zu kutschieren, auf dem Rückweg seinen Bruder vom Kindergeburtstag abzuholen und zwischendurch irgendwie den Einkauf zu schaffen. Da kommt schon die nächste SMS: »Bringst du mich zum Reiten? Fahrrad ist platt«, meldet die Große.
Jahrelang geht das schon so. Mama macht mobil – bei Arbeit, Sport und Spiel. Als von A-nach-B-Hinbringerin und von B-nach-A-Zurückholerin, Fuhrparkleiterin und Chef-Chauffeuse in einer Person, ausgestattet mit einem Handy, das nie aus ist und der Bereitschaft, auch noch den letzten Cent zur Tankstelle zu tragen. Nach dem Füttern habe ich mir das Fahren auf Verlangen praktisch zur zweiten Natur gemacht. Gut, dass ich all das nicht nur gerne tue, bleibt natürlich Nebensache und ich werde nicht müde zu beteuern, dass es mir nichts ausmacht, im Auto zu warten, bis der letzte Elfmeter geschossen ist, das Ruderboot verstaut, das Pferd im Stall vertäut, die Eigentümerschaft an einem rosa Glitzer-Haargummi zwischen zwei Primaballerinas geklärt ist.
Doch, doch, ich mag es, in Wartezimmern durch die al ten
Weitere Kostenlose Bücher