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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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beiläufig fest, dass der Zettel mit der Anschrift unseres Ferienhauses zu Hause liegen geblieben sein muss … Ja, habe ich sie denn noch alle?
    »Sind wir bald da?«, schrillt es von hinten. Einer jault auf. Im Rückspiegel fliegen jetzt die Fäuste. Mit vollen Händen werfe ich Bonbons, Kaugummis und süßen Speck Richtung Rückbank. Der beifahrende Vater übernimmt den Bordservice: Äpfel schnitzen, Kekse verteilen, Lied anstimmen. Dem Animateur ist nichts zu schwör? »Wir spielen mal Autos zählen. Wer nimmt rote?« Charlotte will die gelben, ihre Schwester auch. Keiner will die roten. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Hoffentlich sind wir bald da, denke ich und steige auf die Bremse. Stau. »Sind wir bald da?«, rufen sie hinter mir. Nick beschießt seine Schwestern mit gedrehten Brotkugeln. Währenddessen wird das Baby unter den interessierten Blicken des Fernfahrers neben uns gestillt – wir stehen ja schließlich im Stau. Jetzt fehlt nur noch … »Mama, ich muss mal«, kommt es da auch schon von hinten rechts.
    Aussteigen, abhalten, aber dalli. Und schon zu spät. Das Gewurschtel hat einen Lidschlag zu lange gedauert. Es sprenkelt über meine Schuhe. Da ruckelt die Schlange vorwärts, hopp-hopp zurück ins Auto. Sechsmal anschnallen und losfahren. Wir sind der Ostsee anderthalb Meter näher gekommen …
    Die lange Fahrt hat sich dann aber doch gelohnt. Schon ein paar Tage am Meer verwandeln genervte, erschöpfte und schlecht gelaunte Eltern in solche, die geruhsam die Augen von den sandig panierten Popos über die Steilküste zum Horizont und wieder zurück wandern lassen. Gekeift wird zwar immer noch, das lässt sich aber mit etwas Gelassenheit und gutem Willen auch als Möwengeschrei deuten und wird vom Winde gleich wieder verweht. Wir vertreten gegenüber dem Hickhack der vier Geschwister etwas gelangweilt den umfassenden Geist der Gerechtigkeit, der Gnade und des Friedens. »Können wir nicht für immer hierbleiben?«, fragt der Älteste und kramt nach der Angelrute. Seine Schwester seufzt mit Blick aufs Meer: »Wenn ich groß bin, werde ich die Bestimmerin von der Ostsee.«
    Wir sind dann einfach dageblieben. Ich habe eine Pommesbude an der Strandpromenade aufgemacht. Mein Mann ist Fischer geworden und zieht Abend für Abend hinaus aufs Meer. Wir leben hier glücklich und zufrieden – obwohl, manchmal packt mich das Heimweh nach Berlin. Ich würde schon gern mal wieder in unserem alten Zuhause vorbeischauen, aber ich fürchte mich so vor der langen Fahrt.

Witz komm raus,
du bist umzingelt
    »Mama! Was ist orange und rollt den Berg rauf?«, kräht mein Jüngster. »Keine Ahnung«, sag ich müde, auch weil ich grad echt nicht in Stimmung für komplizierte Scherzfragen bin. »Kannst du mal den Tisch decken?« Weil er ein Junge ist, hält er diesen Satz für eine Frage. Ich knalle also vorwurfsvoll selbst die Teller auf den Tisch, werfe die Gabeln hinterher, schicke alle zum Händewaschen und versu che dabei, die Spaghetti auf dem Herd unter Kontrolle zu halten. »Eine Wandarine!«, schreit er, und gleich kichern, grölen und kreischen sie alle vier los und können sich gar nicht mehr einkriegen. Wer sich da jetzt schlapp lacht, ist nicht älter als vierzehn Jahre und retourniert in wohldosierter Präzision mit: »Was macht ein Clown im Büro? Faxen!« Pubertär pariert von: »Warum steht ein Pils im Wald? Weil die Tannen zapfen.« Im Nu wird’s reichlich politisch unkorrekt: »Was ist grün und trägt ein Kopftuch?«, japst meine große Tochter. »Hä?«, schreien sie dreistimmig. »Eine Gürkin!« Drei große Kinder werfen sich auf den Boden vor Lachen, bloß der Jüngste versteht’s nicht. Und kontert erst hilflos, dann findig, zu guter Letzt tagesaktuell inspiriert: »Habt ihr auch Angst vor Atomkraft?« Einen Moment lang wird es still. Dann wiehert er los: »Ja, panisch!«
    Vielleicht hören sie irgendwann damit auf, wenn ich nur lange genug darüber hinwegsehe. Aber ich fürchte, das kann noch eine Weile dauern. Also bemühe ich mich, den Spaß auf die unverfängliche kindgemäße Ebene herunterzudimmen – und trotzdem mitzuhalten. »Was ist schlimmer als ein Tausendfüßler mit Blasen an den Füßen?«, frage ich gespielt munter. Keiner sagt was. »Eine Giraffe mit Halsschmerzen!« Keiner lacht. »Ach, Mama übrigens«, leiert mein Großer, »die Achtziger haben vorhin angerufen. Sie wollen ihren Witz zurückhaben!« Und seine Schwester ergänzt keck: »Hast du schon gehört, Mama? Über deinem

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