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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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ergeben, ist kaum noch zu ermitteln. Läuft es auf mittelfristig unentschlossenes Nichtstun, frühzeitige Clubbesuche, erste Bekanntschaft mit Alkohol oder Schlimmeres hinaus? Und wie steuert man diese Entwicklung? Ja, wie denn? Man erfährt ja nichts mehr!
    Allerdings wüsste ich doch gern Näheres. »Haben die auch Namen, deine Freunde?«, frage ich meinen Jungen im Brustton mütterlicher Besorgnis. Er rollt mit den Augen, stöhnt, grunzt unwillig, wuchtet den Rucksack auf die Schulter. »Ja, Mama. Haben die. Jeder hat Namen.« Dann kracht die Haustür ins Schloss.
    Mit einem Hechtsprung bin ich an der Tür und rufe ihm hinterher: »Was sind denn das für Freunde? Was macht ihr denn, wenn ihr euch nach der Schule trefft? Wie viele seid ihr denn?« Antworten gibt’s keine. Wahrscheinlich handelt es sich eher nicht um einen Kreis wohlerzogener junger Menschen, die sich nach der Schule verabreden, um Mathe oder Englisch zu üben. Ich ahne, dass sie irgendwo herumhängen und beim unübersichtlichen Hin- und Hergerede über alles Mögliche ganz ordentlich den Staub aufwirbeln, der die Wege in die raue Welt da draußen nun mal bedeckt. Ich reibe mir vor Schreck die Augen. Doch dann beruhige ich mich wieder. Was da wie bedrohlicher Wirklichkeitsstaub aussieht, ist genau besehen doch nur der Rauch einer ersten Zigarette, gegenseitig hustend ins Gesicht geblasen. Kein Grund zur Aufregung. Alles bekannt. Schließlich war ich auch mal 13.

Multitasking
    »Was soll ich denn noch alles machen?«, knurrt meine Tochter und entstöpselt ihr Ohr, »siehst du denn nicht, dass ich Hausaufgaben mache?« Wie konnte ich das nur übersehen und sie mit der Bitte belämmern, noch schnell Milch und Brot einzukaufen? Mit links tippt sie eine SMS, die rechte chattet bei Facebook, aus dem Ohrstöpsel wummern die Bässe. Und ja, da liegt ein aufgeschlagenes Matheheft, direkt zwischen dem angebissenen Schokoriegel und dem geöffneten Nagellackfläschchen. Wow, was meine Große alles gleichzeitig kann! Ich bin ehrlich beeindruckt und auch ein bisschen neidisch. Denn ich kann das alles nicht. Ich tue immer nur so, als könnte ich Spaghetti kochen, dabei Vokabeln abfragen, fix einen Schwimmkurs am Telefon buchen, in Gedanken den Einkaufszettel schreiben und nebenbei herzwarm und scheininteressiert den pointenlosen Ausführungen meiner kleiner Tochter lauschen, die mir seit Stunden erklärt, warum sie mit ihrer besten Freundin nie wieder ein Wort reden wird. In Wirklichkeit werde ich schon nervös, wenn das Telefon klingelt, während ich Fischstäbchen brate. Doch an guten Tagen kann ich schon ganz überzeugend den Schein wahren und agiere wie Kali, die vielarmige. Dann sieht es wenigstens so aus, als hätte ich die sagenhafte Muttation von einer normalen erwachsenen Person mit begrenztem Fassungsvermögen in einen mütterlichen Engel mit weichem Busen, unerschöpflicher Geduld und immerwährender Ansprechbarkeit geschafft. Dann schwimme ich mit dem Strom, tue tausend Dinge gleichzeitig und habe längst vergessen, dass ich früher mal jedwede Anforderungen mit einem selbstbewussten eins nach dem anderen zu umgehen wusste. Aber an schlechten Tagen kauft mir die Multitasking-Simulation keiner ab und ich fühle mich wie ein Schmetterling, der vergeblich versucht, in die Larve zurückzukriechen. Dann brennt mir das Nudelwasser an, wenn mich jemand anspricht. Oder ich erkundige mich streng bei meinem Ältesten nach dem Stand der Vorbereitungen für eine wichtige Mathearbeit, die allerdings sein Bruder bereits letzte Woche geschrieben hat. Manchmal schreie ich Lektoren und Redakteure am Telefon an, dass sie erst ihre Hausaufgaben machen sollen, bevor sie fernsehen dürfen, bloß weil mir gerade während eines wichtigen Telefonats ein Zettel hingeschoben wird, auf dem steht: Darf ich fernsehen? Bittebittebitte. Einmal habe ich es sogar geschafft, ein widerspenstiges Kind pünktlich beim Arzt abzuliefern. Alles stimmte – der Arzt, der Ort, der Zeitpunkt. Nur das Kind war das falsche, und als mir schlagartig klar wurde, dass der heftige Widerstand meines Jüngs ten, sich jetzt die Schuhe anzuziehen und mit mir zum Kinderarzt zu gehen, seine Beteuerung, gar keine Halsschmerzen zu haben, weder einer verspäteten Trotzattacke noch einer verfrühten Pubertätslaune zuzurechnen war, sondern dem schlichten Umstand, dass nicht er, sondern seine Schwester noch vor Sonnenaufgang über Halsschmerzen geklagt hatte. Vielleicht kann ich irgendwann darüber

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