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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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– nun, das ist wirklich nicht mehr zeitgemäß. »Gibt’s Kirschen, gibt’s Körbe« oder »Sechs sind geladen, zwölf sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen« – so stand es auf den schönen Leinentüchern meiner Oma. Als Kurzanleitung für ein Familienleben schien mir das ganz passabel. Allerdings torpedieren achtlose Bemerkungen immer wieder meine robusten Vorsätze. »Es ist bestimmt nicht einfach für dich, dass du immer alles mit deinen Geschwistern teilen musst«, ist noch der harmloseste Kommentar aus Lehrermund, mit dem anlässlich eines unvollständigen Federmäppchens geargwöhnt wird, ich könnte meinen Kindern nicht einmal den materiellen Standard einer durchschnittlichen Grundschulpopulation bieten.
    Mich schüchtern diese Bemerkungen ein, sie bringen mich zuerst in Verlegenheit und dann auf die Palme. Und damit ist jetzt Schluss. Ab heute wird zurückgefragt. Ich nehme die beiden Kleinen an der Hand, und als die Ampel grün wird, lasse ich meinen Blick skeptisch über die vier Hunde schweifen. Die Dame öffnet den Mund. Bevor sie aber noch etwas sagen kann, frage ich in sorgfältig dosierter Bosheit: Sind das alles Ihre?

Freunde
    »Nach der Schule treff’ ich mich noch mit’n paar Leuten«, brummelt mein Sohn beiläufig. »Mit wem denn?«, erkundi ge ich mich freundlich. Er zuckt mit den Schultern. »Na, Freunden halt.« Mein großer Junge hat auf der neuen Schule offenbar Anschluss gefunden, und darüber sollte ich mich freuen. Denn was hat man schließlich sonst im Leben? Was nutzt es einem, wenn man reich, klug, schön und berühmt ist, aber einsam? Mehr als alles andere braucht man echte Freunde. Wer sonst lässt einen im Notfall auf seinem Sofa übernachten, leiht einem Geld, ohne zu fragen wofür und für wie lange, bei wem sonst kann man einmal sein Herz ausschütten? Nur gute Freunde tun das füreinander.
    Niemals habe ich gewagt, eine aufkeimende Freundschaft irgendwie zu behindern. Denn ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass meine Kinder keine Freunde haben. Mein kleines Mädchen, als Einzige nicht zum Geburtstag eines anderen kleinen Mädchens eingeladen! Mein kleiner Junge, als Letzter in die Mannschaft gerufen! Schon beim Gedanken daran bricht das Herz. Weil die Angst, meine Kinder könnten ohne Freunde aufwachsen, so tief im Grund meiner Seele wurzelt, habe ich immer dafür gesorgt, dass sie zumindest den Eindruck hatten, sich jederzeit frei und unbeschwert einen Freund aussuchen zu können. Vornehm habe ich geschwiegen, wenn mir Schulkameraden, Nachbarskinder und Zufallsbekanntschaften vom Spielplatz – hm, ungeeignet erschienen. Geduldig habe ich mich darauf beschränkt, meine eigenen Wertvorstellungen freund lich, fest und fair zu wiederholen, wenn sie in Familien zu Gast waren, wo der Fernseher noch nicht einmal dann ausgeschaltet wird, wenn die Prüsseliese vom Jugendamt vorbeischaut. Die Zähne habe ich zusammengebissen, als das erste meiner vernünftig ernährten Kinder mit rot und gelb verschmiertem T-Shirt nach Hause kam und von ausschweifenden Burger-Sausen mit Freunden schwärmte. Genauso, als das nächste nach einem verspielten Nachmittag in einer strenggläubigen Anthroposophenfamilie mit leidenschaftlichem Furor blutrünstige Schlachten unter Weltraummonstern nachstellte. Auch als das nächste Kind zu Hause mit einem Wortschatz aufwartete, den es bei dem Vater des neuen Freundes, der gerade zwei Jahre auf Bewährung hat, aufgeschnappt hatte. Wenn die Freundschaft gutgeht, mische ich mich nicht ein – es sei denn, es droht Blutvergießen. Allerdings habe ich unauffällig überwacht, dass der kleine frühreife Macho von nebenan wirklich nur Activity mit meinen kleinen Mädchen spielt, auch wenn er sich noch so provokant in den Schritt fasst wie sein Pop-Idol.
    Um neue Freunde einschätzen und ein genaues Gefahrendispositiv erstellen zu können, muss man sich an das Kind selbst halten. Es hilft enorm, wenn man sich dazu eines investigativen Fragestils bedient, den man sich leicht in einem Schnupperpraktikum bei Mossad, BND und CIA aneignen kann. Dann erfährt man vielleicht, dass es einen Johnny gibt, der krass cool ist, einen Ben, der jeden iPod cracken kann oder einen Jassin, der noch sieben Brüder, aber keinen richtigen Vater hat. Aber wenn die Kinder eines Tages aufhören, ihre Freunde mit nach Hause zu bringen, erfährt man gar nichts mehr. Welche Aktivitäten sich aus diesen anonymen Sport-, Spiel- und Spaßgemeinschaften

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