Mutti packt aus
lachen.
Im Grunde meines Herzens bin ich Single-tasker. Still komatöse Konzentration, selige Versunkenheit und hundertprozentige Hingabe, die nur einer einzigen Tätigkeit dient, danach sehne ich mich heimlich. Nur telefonieren. Nur essen. Nur dasitzen und ein schönes Loch in die Luft gucken.
Nicht erst die Hebamme, die mich streng ermahnte, dass man beim Stillen immer gaaaanz beim Kind sein muss und nicht währenddessen Nachrichten gucken oder Krimis lesen oder mit Freundinnen telefonieren darf, hat mich auf diesen Weg geschickt. Musikhören beim Hausaufgabenmachen, darauf stand in meinem Elternhaus die Höchststrafe. Wenn du eins willst richtig fassen, musst du vieles andere lassen – diesen Satz musste man hundert Mal schreiben, wenn man sich mit Cat Stevens beim Vokabellernen erwischen ließ. Doch wie man das Leben meistert, lernt man nicht von seinen Eltern, sondern von seinen Kindern.
Eines wenigstens kann ich inzwischen ziemlich gut: an etwas ganz anderes denken, während ich meinen Kindern zuhöre.
Ob das wohl gutgeht?
»Musst du nicht bald mal los?« Mit liebenswürdiger Ungeduld schaut der Jüngste auf seine Uhr. Hm. Jetzt wird’s ernst. Im Flur steht mein Koffer und ich werde eine Woche nicht das sein, was ich immer bin, nämlich immer da. Natürlich würde mir nicht mal im Traum einfallen, etwa auf der Suche nach Abenteuern pflichtvergessen aus unserem gemütlichen Nest zu flüchten. Auch habe ich keineswegs vor, meine Kinder zu verlassen, um mit lüsternen Blicken einen Mann zu erobern. Überhaupt bin ich nicht unzufrieden. Ganz und gar nicht. Ich bin einfach nur neugierig. Und will nur mal kurz aus der gemischten Raubtiernummer steigen, in der ich seit Jahren als liebende Dompteuse in Glitzerkostüm und Puschelpumps Leckerlis verteile und äußerstenfalls mal mit der Peitsche knalle, um die Show in Gang zu halten. Einmal tief durchatmen und versuchen mich zu erinnern, wer ich eigentlich war, bevor der Familienzirkus losging, das will ich. Tschüss Wohnung, tschüss Waschmaschine, tschüss pädagogisch wertvolles Spielzeug, das sich zu pädagogisch wertlosen Haufen türmt, tschüss Harry Potter, tschüss Telefon, tschüss Ausflugsgeld in Umschlägen, tschüss Stullenpakete, tschüss Alltag. Natürlich bin ich nicht zum ersten Mal weg. Ich war schon im Krankenhaus, um neue Babys zur Welt zu bringen. Ich war schon über Nacht weg, weil ich berufliche Pflichten zu erledigen hatte. Ich bin schon mal ein paar Tage weggefahren, um meine alte Mutter zu pflegen.
Aber hier geht’s jetzt um Urlaub. Und es geht nicht um Sandeimerchen, Freizeitparks oder Streichelbauernhöfe, auch wenn sich diese Unternehmungen stets breiter gesellschaftlicher Billigung erfreuen. Ferien mit Kindern – immer wieder schön. Wellness-Wochenenden mit der besten Freundin – so selten wie wunderschön. Es ist doch so wichtig, die eigenen Batterien wieder aufzuladen. Das kommt ja dann auch wieder der Familie zugute, stimmt’s? Ist die Mutter gesund, freut sich das Kind. Gut, drei Wochen Mutter-Kind-Kur am Ostseestrand hätten’s vielleicht auch getan. Plötzlich kriege ich kalte Füße und komme mir wie ein egoistisches Luder vor. Denn ich spreche von etwas Unerhörtem: Ferien für mich – alleine. Ganz bewusst, trotz der Häme der Nachbarn, der Bedenken meiner Freundinnen und der hochgezogenen Augenbrauen meiner eigenen Mutter, habe ich verkündet, dass ich ein paar Tage alleine wegfahren werde. Wer kann die Freuden der Mutterschaft schon genießen, wenn er jeden Tag bis zum Hals drinsteckt? Entschlossen blase ich heute den l’orealhaften Funken in die Asche meines Alltags: Weil ich es mir wert bin. O. k., ein bisschen abgegriffen, aber eben auch griffig. Das Ding im Flur mit dem Griff ist mein Koffer. Auf Wiedersehen. Bis nächste Woche.
Ob das wohl gutgeht? Dass ich gar nicht weiß, was Kinder eigentlich so machen werden, konnte ich vorher nicht merken, weil ich zu beschäftigt damit war, ihnen zu sagen, was sie machen sollen. Für jeden Tag habe ich eine Laufliste geschrieben, die morgens immer munter imperativ anfängt mit Aufstehen! Zähneputzen! Frühstücken! und abends liebevoll investigativ aufhört mit Ranzen gepackt? Klavier geübt? Hausaufgaben gemacht? Mit dem Hund rausgegangen? Alle Lichter ausgemacht? Haustür abgeschlossen? Für jeden Mittag habe ich Essen vorgekocht, etikettiert und eingefroren. Seit dem letzten Power-shopping bei Aldi platzt der Vorratsschrank aus allen Fugen. Rot habe ich im Kalender
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