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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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klappe das Buch zu und suche meinen Jungen mit den Augen. Er steht lässig im Tor rum und unterhält sich angeregt mit Tom-Philipp. Als der Ball vorbeifliegt, schauen sie beide verdattert hinterher. Muss ich jetzt eingreifen? »Tom-Philipp ist doch viel zu zart für’s Tor!«, kreischt seine Mutter, »na, den Trainer werde ich mir mal vorknöpfen. Geht ja gar nicht!« Paul-Torbens Mutter hält die Luft an. Dann platzt es aus ihr heraus: »Also jetzt vergeigt der mir schon wieder den Pass!« Sie springt auf, wedelt mit den Armen, der Trainer zuckt. Und Paul-Torben dreht seiner Mutter einfach den Rücken zu.
    Ich tu’s jetzt. Ich gebe mir einen Ruck, stehe auf und gehe. Nuschel irgendwas von einem Termin und sage, dass ich um sechs zum Abholen wieder da bin. Die Mütter schütteln missbilligend den Kopf: »Wie jetzt? Interessiert dich denn gar nicht, wie deiner spielt? Die brauchen uns doch hier zum Anfeuern! Da kannst du doch nicht einfach gehen!« Dann in strengem Tadel: »Hat dein Sohn wenigstens eine Trinkflasche dabei?« Fast hätte ich ketzerisch gefragt: Trinkflasche? Aus dem Alter ist er doch wohl raus? Aber nur fast, schließlich findet die Schlacht ja auf dem Rasen statt, nicht hier hinten, auf den Tribünen.

Sind das alles Ihre?
    »Guck mal, die sind ja angezogen!«, kichert mein Großer und deutet auf die vier kleinen Hündchen in vier kleinen blauen Mäntelchen, die neben uns darauf warten, dass die Ampel auf Grün springt. »Sind die süüüß!«, juchzen die Mädchen, und nur mein strenger Blick hält sie vom Fremdstreicheln ab. Am anderen Ende der Leine befindet sich eine ältere Dame und mustert uns eisig, während die vier kleinen langhaarigen Kläffer nervös übereinanderpurzeln. Jedem Einzelnen von ihnen ist mit einer farblich zum Fell passenden Haarspange die lange Ponyfranse aus dem Gesicht gehalten – weiß, beige, halbbraun, braun. Keines meiner Kinder ist so sorgfältig frisiert. Zuckt es wegen des ungepflegten Erscheinungsbildes von vier lärmenden Spielplatzheimkehrern so missbilligend um ihren grellrot geschminkten Mund? Jetzt rümpft sie die Nase, die behandschuhte Hand fasst die Leine fester. Gleich wird sie etwas sagen, das kann man sehen. Und ich weiß auch genau, was. Denn man fällt nicht nur unweigerlich auf, wenn man mit vier Kindern unterwegs ist – man weckt auch, ohne aus drücklich darum zu bitten, noch immer die Kommentierlust der Zeitgenossen. Und die ist wirklich nichts für Feiglinge.
    »Ham’se auch noch’n anderes Hobby?«, knurrt der erste Taxifahrer, während ich ihn zu überreden versuche, vier Kinder, vier Rucksäcke, vier Kuscheltiere, eine Reisetasche, mich und gefühlt vierhundert Stullen gemeinsam zum Bahnhof zu transportieren. Vergeblich. »Wohl keen Fernseher zu Hause?«, kommentiert der zweite Taxifahrer, den ich hinzubitten muss, weil wir zu viele für ein einziges Taxi sind. »Was! Vier!«, ist noch das Mindeste, was ich zu hören kriege, wenn ich gefragt werde, wie viele Kinder ich habe. »Ach herrje, Hut ab!« Oder gerne auch mal plump vertraulich: »Da hat ja wohl jemand den Hals nicht voll kriegen können!« Aus irgendwelchen Gründen unterstellt man nassforsch eine gewisse triebhafte Zügellosigkeit, weil ich mir mehr als eine Mutterfreude gegönnt habe. Auch mit der dreisten Mutmaßung, einer Sekte anzugehören, mindestens aber der mitfühlenden Vermutung, dass mein Mann gewiss katholisch sei, macht man mich sprachlos. Oder ganz gemein, die Sachbearbeiterin beim Jugendamt, ungläubig näselnd: Und die vier sind alle vom selben Vater?
    Und immer bleibe ich die passende Antwort schuldig, weil sie mir erst hinterher einfällt. Zufallsbekanntschaften im Supermarkt halten mir – ungebeten – einen hochnotpeinlichen Kurzvortrag über das riesige Angebot an modernen Verhütungsmitteln, erkundigen sich besorgt, ob ich denn orientiert wäre, was es da heute so alles gibt? Um dann ihr süß ausstaffiertes Einzelkind an der Hand zu nehmen und von dannen zu ziehen. Ich bleibe mit hochrotem Kopf vor der Käsetheke stehen, in tiefster Verwirrung, beschämt und irgendwie schuldbewusst. Ja, was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht, nun auch noch das vierte Baby nicht einfach weggeschickt zu haben? Meine Mutter hatte mich gewarnt: Schon mit drei Kindern gelte man als asozial. Meine naive Idee von der Familie als einer Art improvisierter Party, zu der jeder willkommen ist, der neugierig an der Tür anklopft, vom fröhlichen Lärm der Feiernden magisch angezogen

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