My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
verschiedenen Schlußfolgerungen gelangt“, erwiderte Tom gelassen. „Ich hoffe, Miss Hetty wird glücklich. Die von ihr getroffene Wahl scheint vernünftig zu sein. Mr. Makepeace ist zwar ein Langweiler, wie er im Buche steht, aber eine gute Partie und bis über die Ohren in Ihre Cousine verliebt.“
„Ich hatte Sie nicht um Ihre Meinung über ihn gebeten“, sagte Olivia spitz. „Er ist reizend und sehr aufmerksam.“
„Das hatte ich gemeint“, erwiderte Tom unbeirrt.
Sie spürte, daß ihr die Zornesröte in die Wangen stieg. Der arrogante Mr. Brooke hatte wahrlich nicht das Recht, Hetty so den Kopf zu verdrehen, daß sie sich in ihn verliebte, sie dann sitzenzulassen und den Anschein zu erwecken, sie hätte es nur aufsein Geld abgesehen. Allerdings mochten manche Lästermäuler es für einen seltsamen Zufall halten, daß ihr Bräutigam ebenfalls ein reicher Mann war.
„Bitte, entschuldigen Sie mich, Sir“, sagte Olivia kühl. „Meine Tante sucht mich.“ Sie schlenderte davon, hatte jedoch den ganzen Abend hindurch das Gefühl, sie müsse Hetty und Mr. Makepeace davor bewahren, von Thomas Brooke behelligt zu werden. Wann immer sie sich mit irgendeinem Gast unterhielt, bemerkte sie, daß Mr. Brooke sich bei den beiden aufhielt, ganz bestimmt in boshafter Absicht, denn einen anderen Grund konnte er nicht haben. Stets eilte sie dann zu Hetty, um sie in Schutz nehmen zu können, falls er ungebührliche Bemerkungen machen sollte.
Hetty entging nicht, daß Thomas Brooke immer dann zur Stelle war, wenn Olivia sich zu ihr und Mr. Makepeace gesellt hatte. Nach dem Ende des Festes heimgekehrt, bemerkte sie erbost: „Heute abend hattest du großen Erfolg bei Mr.
Brooke!“
Ehe Olivia antworten konnte, warf Flora ein: „Sie hat nur versucht, ihn vor dir abzulenken. Du bist ja jedesmal, wenn er sich dir nur näherte, abwechselnd kreidebleich und puterrot geworden! Selbst Mr. Makepeace muß das irgendwann aufgefallen sein, obwohl er so ein Einfaltspinsel ist.“ Hetty brach in Tränen aus.
Hester hatte Mühe, sie zu trösten, tadelte Flora ob des ungezogenen Benehmens und schickte beide Töchter zu Bett. Erst danach stellte sie fest, daß auch Olivia sich zurückgezogen hatte und nur der Gatte sich noch im Vestibül befand.
Er klopfte an das Barometer und sagte zufrieden: „Wie gut! Das Wetter bleibt schön!“
„Mir wäre es lieber, es würde schneien“, erwiderte Hester mürrisch. „Dann müßten die Mädchen im Haus bleiben.“
„Willst du damit andeuten, daß Hetty noch immer etwas für Mr. Brooke übrig hat? Wenn das der Fall wäre, würde sie Mr. Makepeace sehr schäbig behandeln und sollte die Verlobung sofort auflösen.“
„Um sie mache ich mir keine Sorgen, zumindest keine großen, obwohl ich weiß, daß sie unglücklich ist. Das Schlimmste hat sie jedoch hinter sich. Sie hat mir versichert, sie würde Mr. Makepeace heiraten. Die Begegnung mit Mr. Brooke habe sie nur etwas aus der Fassung gebracht, vor allem deshalb, weil sie weiß, daß alle Leute sie neugierig beobachten.“
„Was beunruhigt dich dann, Liebste?“
„Olivia“, antwortete Hester nachdenklich. „Den ganzen Abend habe ich mich gefragt, ob jetzt sie dem Charme dieses Roues erliegt.“
„Olivia? Ich meine, sie ist viel zu vernünftig und lebenserfahren, um solch eine Dummheit zu begehen. Sie ist nicht so leichtgläubig wie Hetty.“
„Hoffentlich! Immerhin haben sie und ihre Stiefmutter in Irland in den besten Kreisen verkehrt, und außerdem hatte sie bereits viele Verehrer. Dennoch wäre mir wohler, wenn Mr. Brooke nicht bei den Channings wohnen und uns alle so verunsichern würde. Ich frage mich wirklich, warum er nach Parmouth gekommen ist.“
„Meine Liebe, er wohnt nicht bei den Channings, wie du es ausdrückst. Das Haus gehört ihm. Warum sollte er nicht einen Teil des Sommers in Parmouth verbringen?“
„Es stört mich, daß er hier ist“, antwortete Hester, seufzte schwer und hatte plötzlich einen Einfall. „Was hältst du davon, wenn wir Olivia bitten, Hetty auf der Hochzeitsreise zu begleiten?“ fragte sie eifrig. „Flora neigt dazu, sich viel zu kritisch und freimütig zu äußern. Ich glaube, Olivia wäre für Hetty die weitaus geeignetere Gefährtin.“
„Entscheide das, wie du willst“, sagte Charles lächelnd.
Mr. Makepeace hatte das Pech, von einer Biene gestochen zu werden, und war genötigt, im Hotel zu bleiben und die Schwellung am Fuß mit kalten Wickeln zu behandeln. Hetty schien ihn
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