My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
sie gezwungen sein könnte, Bellevue aufzugeben, weil ihre Mutter so krank ist? Warum begeben wir uns nach dem Frühstück nicht auf die Suche nach einem Haus? Mir würde es Spaß machen.“
„Oh, würdest du mich begleiten?“ fragte Hester eifrig. „Ich wäre dir für deinen Rat dankbar.“
Voll hochfliegender Erwartungen brachen sie und die Nichte auf, mußten jedoch bald feststellen, daß die Hoffnungen sie getrogen hatten. Bellevue war zwar frei gewesen, indes bereits von jemand anderem gemietet worden. Ein anderes Haus, das Mrs. Osgood vorgeschlagen hatte, wurde überhaupt nicht vermietet.
Hester war gezwungen, sich wie jeder Urlauber an einen Makler zu wenden. Es ärgerte sie, daß der überhebliche Mensch sich erst über ihre Einfalt lustig zu machen schien, ihr sämtliche Illusionen raubte und dann großmütig zugab, er habe zwei Objekte, die in Frage kommen könnten. Sie lagen jeweils am anderen Ende des Ortes, doch Hester war froh, daß es diese Möglichkeiten überhaupt gab.
Das trübe Wetter des Vortages hatte sich verzogen, und die Sonne strahlte vom Himmel, als die Damen die beiden Anwesen aufsuchten. Das eine wie das andere erwies sich als untauglich. Das erste war düster, viel zu klein und lag an einer belebten Straße, das andere hatte noch mehr Mängel, vor allem aber kein elegantes Mobiliar.
„Nun weiß ich nicht mehr, was ich tun soll!“ jammerte Hester. „Wir haben keinen Platz für Elizabeth und Preston. Außerdem würden sie sich bei uns nicht wohl fühlen. Sie sind unseren einfachen Lebensstil nicht gewöhnt. Wir stehen früh auf und gehen zeitig schlafen, und die Mahlzeiten bestehen auch nur aus einem Gang. Und Elizabeth hat eine so gönnerhafte, bevormundende Art! Sie meint es nicht so, aber wir alle hätten darunter zu leiden. Ach herrje, ist mir heiß! Ich kann kaum noch klar denken, und die Schuhe drücken fürchterlich!“ Daheim angekommen, war Hester sogar zu erschöpft, um sich in ihr Boudoir zu begeben. Sie wankte in den Salon, sank matt auf das Sofa und nahm den Hut ab.
Sie wollte eben die Stiefeletten aufknöpfen, als das Pochen des Türklopfers zu hören war. „Ich will niemanden sehen!“ murrte sie. „Olivia, sag Skinner, daß er den Besucher abweisen soll.“
Es war jedoch zu spät. Der Butler betrat den Salon und verkündete: „Mr. Brooke macht Ihnen die Aufwartung, Madam.“
„Was will er hier? Schick ihn fort! Oh, guten Tag, Mr. Brooke.“
„Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, Madam“, sagte er und verneigte sich vor den Damen. „Ich wollte mich nur erkundigen, wie es Miss Fenimore nach dem gestrigen Abenteuer geht.“
„Abenteuer?“ wiederholte Hester mißtrauisch.
„Vom Nebel im Moor überrascht zu werden ist für jeden, der unsere Witterungsverhältnisse nicht kennt, ein unliebsames Abenteuer.“
„Oh, ja. Ich verstehe. Natürlich war das eine ärgerliche Sache“, erwiderte Hester in einem Ton, der durchklingen ließ, alles sei nur Mr. Brookes Schuld gewesen.
Tom schaute Miss Fenimore an und sagte bedauernd: „Es tut mir leid, daß Sie es so ärgerlich fanden.“
„Der einzige Ärger ist mir anzulasten“, entgegnete sie kleinlaut. „Ich hätte nicht so unbedacht sein und das Pferd davonrennen lassen dürfen. Ich habe meiner Tante und meinem Onkel bereits erzählt, wie geschickt Sie es einfingen. Bitte, nehmen Sie doch Platz, Sir.“
Hester hatte ihn absichtlich nicht aufgefordert, sich zu setzen. Sie wollte, daß er möglichst schnell verschwand.
Er ließ sich in einem Sessel nieder und sagte: „Ich habe noch einen Grund für meinen Besuch. Heute morgen traf ein Brief von Lord Canfield ein. Er hat Mrs.
Wakelin und ihrem Gatten Rosamond's Bower zur Verfügung gestellt.“
„Rosamond's Bower!“ rief Hester verblüfft aus und setzte sich aufrecht hin.
„Olivia und ich sind den ganzen Vormittag im Ort gewesen und haben uns die schrecklichsten Häuser angesehen. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, daß Seine Lordschaft Rosamond's Bower vermieten würde.“
„Im allgemeinen tut er das nicht“, stimmte Tom zu. „Diesmal macht er eine Ausnahme, weil er wußte, daß Ihre Verwandten, mit denen er seit langem befreundet ist, so kurzfristig kein anderes Haus finden würden. Er, Preston und ich waren in Oxford zusammen, was dazu geführt hat, daß er in mir eine Art Verwalter sieht. Wenn er nicht in Parmouth ist, überträgt er mir das, was er hier zu erledigen hat.“
„Nun, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie uns diese wundervolle
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