My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
Worten im Sinne hatte. „Es ging nicht um Hetty“, widersprach sie halbherzig, wußte jedoch, daß er ihr nicht glaubte. „Aber ich hätte mich wohl nicht so freimütig äußern sollen. Es tut mir leid.“
„Warum? Aufrichtigkeit ist eine Tugend. Machen Sie jetzt keinen Rückzieher!“ Nach kurzer Pause fügte Tom hinzu: „Ich hoffe, Ihre Cousine ist glücklich verheiratet. Waren Sie nicht in der letzten Zeit bei ihr?“
„Ja. Ich habe ihr geholfen, sich im neuen Heim einzuleben.“ Olivia berichtete, wie zufrieden die Cousine und ihr Gatte lebten, und war froh, daß sie bei der Wahrheit bleiben konnte. Mit Alfred Makepeace war Hetty glücklicher, als sie es je mit dem komplizierten, ziemlich einschüchternden Thomas Brooke gewesen wäre, selbst wenn er sie geliebt hätte.
Die meisten Leute hätten es als unschicklich empfunden, daß sie, eine unverheiratete Frau, mit einem Herrn, der nicht mit ihr verwandt war, über die Dinge sprach, die sie auf dem Heimweg nach Parmouth diskutiert hatten. Aber durch dieses Gespräch hatte sich zwischen ihnen eine intimere und vertraulichere Stimmung ergeben, die nun, da sie sich im Ort befanden, rasch verflog.
Tom begleitete Miss Fenimore zum Haus ihres Onkels, lehnte höflich die Einladung zu einem Täßchen Tee ab und erklärte, er werde den Rotfuchs in den Mietstall zurückbringen. „Der Besitzer kann sich auf etwas gefaßt machen, daß er Ihnen diesen störrischen Bock gegeben hat“, sagte er lächelnd.
Nach dem kurzen Ausbruch in die Freiheit war der Wallach längst wieder in einen trägen, apathischen Zustand verfallen.
Olivia begab sich ins Haus und traf den Onkel und die Tante im Salon an.
Hester war entsetzt, als sie hörte, daß die Nichte den ganzen Weg vom Picknickplatz im Moor nach Parmouth mit Mr. Brooke hatte zurückreiten müssen.
„Was hat Martha sich dabei gedacht!“ sagte sie entrüstet. „Sie hätte dich nie mit diesem Menschen allein lassen dürfen!“
„Es war nicht ihre Schuld“, nahm Olivia Mrs. Channing in Schutz. „Beim Aufbruch mußte jeder annehmen, daß Mr. Brooke und ich folgen würden. Das wäre auch der Fall gewesen, hätte ich nicht dummerweise die Zügel meines Pferdes losgelassen. Es rannte davon, und Mr. Brooke war genötigt, es einzufangen. Und weil es so neblig war, hat es sehr lange gedauert, bis er es fand.“
„Nun, hoffentlich hat er sich auf dem Heimweg anständig betragen! Hat er etwas Ungehöriges gesagt oder getan?“
„Nein, natürlich nicht“, antwortete Olivia und war sich voller Unbehagen bewußt, daß man ihr diesen Vorwurf hätte machen können.
„Verlaß dich darauf, meine Liebe“, warf James ein und ließ die Zeitung sinken,
„Mr. Brooke ist nicht der Mann, der einer Dame unschickliche Avancen macht, es sei denn, sie hat ihn dazu ermutigt.“
Hester schnaubte verächtlich. Es fiel ihr noch immer schwer, sich einzugestehen, daß die liebe Hetty sich höchst unbesonnen und verbohrt benommen hatte.
5. KAPITEL
Einen Tag nach dem Ausflug ins Moor traf mit der Post ein Brief für die Tante ein.
Olivia erkannte die Handschrift auf dem Couvert und wußte, er stammte von ihrer gutsituierten und gesellschaftlich angesehenen Cousine Elizabeth Wakelin.
Elizabeths Vater war Geistlicher gewesen und hatte finanziell nicht besser dagestanden als die Fenimores, doch seiner Tochter war es gelungen, eine exzellente Partie zu machen. Sie hatte Preston Wakelin geheiratet, der in Norfolk ausgedehnte Güter und in London eine prächtige Stadtresidenz besaß. Nun lebte Elizabeth auf großem Fuße und gehörte den besten Kreisen an.
Hester öffnete den Brief und las ihn am Frühstückstisch.
„Gefällt es Lizzie und Preston in Schottland?“ erkundigte sich Olivia und nippte an der Teetasse.
„Offensichtlich haben sie ihre Pläne geändert und sind nicht lange dort geblieben.
Lizzie schreibt… Ach du lieber Himmel! Sie will mit Preston für einige Wochen nach Parmouth kommen und bittet mich, ihr ein passendes Haus zu besorgen!“
„Cousine Elizabeth kommt nach Parmouth?“ wunderte sich Flora. „Hat man dafür Töne!“
„Zu dieser Jahreszeit wirst du nie ein geeignetes Anwesen für sie finden, meine Liebe“, wandte James ein. „Das solltest du ihr lieber gleich mitteilen.“
„Das kann ich nicht“, weigerte sich Hester. „Sie gehört zur Familie. Ich muß ihr behilflich sein.“
„Ach, irgend etwas wird gewiß verfügbar sein“, meinte Olivia. „Hat Mrs. Marling nicht neulich geäußert, daß
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