My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
stiegen aus. Elizabeth erzählte dem Gatten sofort, was sie von Louisa erfahren hatte.
Er war sehr überrascht und stimmte ihr zu, daß Tom und Anne so schnell wie möglich heiraten mußten. „Da Anne und ihr Gatte kinderlos waren, gehen Titel und Besitz an Sir Martins Bruder über“, fügte Preston hinzu. „Aufgrund der Beziehung zu Tom ist er seiner Schwägerin nicht wohlgesonnen. Das dürfte der Grund sein, warum sie zu ihm nach Cassondon gereist ist.“
„Daran hatte ich noch gar nicht gedacht“, gab Elizabeth zu, nahm den Gemahl beim Arm und schlenderte mit ihm voraus.
Olivia hatte keine Lust, sich die Ruinen anzusehen, und fragte sich, was sie beginnen sollte.
„Diese Überreste sind nicht besonders interessant, nicht wahr?“ meinte Louisa und schlug dann vor: „Warum setzen wir uns nicht?“ Olivia nickte bedrückt, ließ sich neben Mrs. Woodvile auf einem Stein nieder und sagte leise: „Ich konnte nicht überhören, was Sie vorhin in der Kutsche vorgelesen haben. Ich wüßte gern, wer die Dame ist, deren Gatte starb. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Mr. Brooke in sie verliebt. Besteht diese Verbindung schon seit längerer Zeit?“
„Seit fast zehn Jahren. Deshalb hat er nie geheiratet.“ Olivia krampfte sich das Herz zusammen.
„Männer, die wie er nicht gebunden zu sein scheinen“, fuhr Louisa fort, „bereiten einer Frau oft seelischen Kummer, ohne es beabsichtigt zu haben. Seine sorglose, unbekümmerte Art hat schon so manche Dame getäuscht.“
„Ich bin froh, daß es mir nicht so ergangen ist“, erwiderte Olivia, obgleich das nicht der Wahrheit entsprach. „Er und ich haben ein wenig geflirtet, doch es war nichts Ernstes. Ich würde nie einen Mann ermutigen, der an eine andere Frau gebunden ist, selbst wenn er, wie in diesem Fall, eine ungehörige Beziehung zu ihr unterhält. Elizabeth hat mich vor ihm gewarnt, ohne mir ihre Gründe zu erläutern. Das ärgert mich, denn ich bin nicht mehr so jung, daß jeder so tun muß, als wisse ich nicht, was in der Welt geschieht. Vorhin hat Lizzie ja selbst geäußert, ich sei kein Schulmädchen mehr. Warum hat sie mir nicht von Lady Laybourne erzählt?“
Louisa überlegte eine Weile und antwortete dann bedächtig: „Ich habe stets den Standpunkt vertreten, daß es falsch und anmaßend ist, das Verhalten anderer Leute zu verurteilen, erst recht, wenn sie sich in der Öffentlichkeit nichts zuschulde kommen lassen. Entweder man verdammt jede Form der Sünde, oder man akzeptiert vorurteilsfrei die Fehler anderer Menschen. Aber die Gesellschaft denkt anders, und ich kann es nicht ändern. Im übrigen haben viele Leute ein außereheliches Verhältnis, ohne daß die auf beiden Seiten Beteiligten darüber verbittert wären. Bei Lady Laybourne und ihrem Gatten war es jedoch etwas anderes. Sie war bei der Hochzeit mit Sir Martin erst siebzehn, er hingegen doppelt so alt. Ich glaube, er hat sie ehrlich geliebt, es nur nie verstanden, sie glücklich zu machen. Sie paßten im Wesen nicht zueinander und hatten keine Kinder, die ihre Ehe gefestigt hätten.“
Louisa schwieg, und Olivia wagte nicht, sie mit Fragen vom Thema abzulenken.
„Mr. Brooke ist der Nachbar der Laybournes“, fuhr Louisa nach kurzer Pause fort.
„Welworth Abbey, ihr Landsitz, ist nur fünf Meilen von Cassondon entfernt. Sir Martin gab stets vor, nichts vom Verhältnis seiner Frau mit Mr. Brooke zu merken, wurde in seinem Verhalten ihr gegenüber jedoch zunehmend frostiger und distanzierter. Ich bin nicht über alles informiert, weiß jedoch, daß er ihr damit drohte, sich von ihr zu trennen, sollte es zu einem Skandal kommen. Er hatte indes nicht vor, sich von ihr scheiden zu lassen, um ihr die Möglichkeit zu geben, Mr. Brooke zu heiraten. Sie können sich vorstellen, Miss Fenimore, daß sie dann in einer unmöglichen Situation gewesen wäre. Und deshalb haben ihre Freunde stets darauf geachtet, daß ihr guter Ruf gewahrt blieb und ihr Name nicht in Verbindung mit Mr. Brooke genannt wurde.“
„Das leuchtet mir ein“, erwiderte Olivia langsam. „Wahrscheinlich war er der erste, der darauf Wert legte, sie nicht in Verruf zu bringen.“
„Das stimmt. Sobald sie sich in Gesellschaft trafen, haben sie sich sehr diskret benommen. Ihr Verhalten war so unbeteiligt, daß ich die Affäre beendet wähnte.
Vor drei Jahren zog Sir Martin sich dann jedoch mit der Erklärung, schwerkrank zu sein, mit seiner Gattin nach Welworth Abbey zurück. Es hieß, er habe sie und Mr.
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