My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
fragte sie: „Was, um alles in der Welt, machen Sie hier, Sir?“
„Jeder scheint höchst erstaunt, mich in Parmouth zu sehen“, antwortete er verdutzt. „Ich begreife den Grund nicht. Ich hatte doch gesagt, daß ich zurückkommen würde. Können Sie sich nicht denken, warum ich hier bin?“
„Nein.“
Tom schlenderte zum Kamin, stellte den Fuß auf den Sockel und erklärte lächelnd: „Ich will noch etwas erledigen, das ich mir vor der Abreise vorgenommen hatte. Leider bin ich nicht eher dazu imstande gewesen, weil Lionel zum völlig falschen Zeitpunkt in Parmouth eintraf. Ich bin bei Ihnen, weil ich Sie bitten möchte, meine Gattin zu werden.“
„Was wollen Sie?“ Olivia glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können.
„Meine liebste Olivia, du konntest dir doch denken, daß ich um deine Hand anhalten würde. Vielleicht ist es dumm von mir, mein Glück dort zu suchen, wo, wie ich höre, schon einige hochstehende Herren aus Irland erfolglos waren, doch ich hatte den Eindruck, daß du mich magst.“
Der unmißverständliche Hinweis, daß sie ihn ermutigt hatte, half Olivia, zu sich zu finden. Es ärgerte sie, daß er sich den Anschein der Bescheidenheit gab. Es kam ihr verlogen und eingebildet vor. „Bitte, unterlassen Sie es, mich zu duzen, Mr. Brooke“, erwiderte sie zornig. „Ich habe es Ihnen nicht gestattet. Im übrigen ist es ungeheuerlich, daß Sie mir einen Heiratsantrag machen.“
„Ungeheuerlich?“ wiederholte Tom verblüfft und straffte sich. „Wie darf ich das verstehen?“
„Soweit ich weiß, gibt es eine andere Dame, die mehr Recht darauf hat, von Ihnen ‚Liebste’ genannt zu werden.“
„Ich merke, die Leute haben geredet“, erwiderte er steif. „Was hat man Ihnen erzählt?“
„Genug, um in mir den Wunsch zu wecken, Sie nie wiederzusehen, Sir!“
„Ist das nicht ein wenig voreilig? Was hat man Ihnen berichtet?“
„Ihre Beziehung zu Lady Laybourne sei so von langer Dauer und derart ernsthafter Natur, daß jeder es als selbstverständlich voraussetzte, Sie würden sie nach dem Tode ihres Gatten heiraten. Auch sie muß dieser Meinung gewesen sein, denn sonst hätte sie wohl kaum auf jegliche Diskretion verzichtet und sich nach Cassondon begeben, um offen mit Ihnen zu leben.“ Gespannt schaute Olivia Mr. Brooke an und sah, daß sie ihn aus der Fassung gebracht hatte. Bestimmt hatte er nicht damit gerechnet, daß diese Neuigkeiten Parmouth so schnell und vor allem in derart detaillierter Form erreichen würden.
Er schwieg eine Weile und sagte dann bedächtig: „Falls Sie glauben, Lady Layborne wohne bei mir in Cassondon, kann ich Ihren Unmut verstehen. Aber ich versichere Ihnen, sie lebt nicht dort.“
„Auch das ist mir bereits bekannt. Jeder weiß es. Es hat sich längst verbreitet, in welch mißlicher Lage sie war und daß sie sich genötigt sah, in einem Kloster Zuflucht zu suchen.“
„Du meine Güte, wie niederträchtig die Leute sein können!“ erwiderte Tom erbost. „Sie wollen immer alles im schlimmsten Licht sehen! Natürlich bin ich jetzt der Bösewicht! Ich hatte jedoch angenommen, Sie würden mich nicht verurteilen, ohne mich angehört zu haben. Sie sind doch nicht prüde!“ Olivia biß sich auf die Unterlippe. Aus Mr. Brookes Mund hatte der Hinweis, sie sei nicht prüde, eher wie eine Beleidigung denn wie ein Kompliment geklungen.
Sie billigte ihm zu, daß er nicht an allem schuld war, das zwischen ihm und Lady Laybourne falschgelaufen war. Bestimmt hatten beide Seiten Fehler gemacht.
Aber er war ein Mann, der die Torheit einer Frau ausnutzte und ihr dann anlastete, sich wie eine Närrin benommen zu haben.
Nach betretenem Schweigen sagte Olivia kühl: „Ich begreife nicht, warum Sie erwarten, daß unter diesen Umständen etwas zu Ihren Gunsten sprechen könnte.
Lady Laybournes Charakter kann ich nicht beurteilen. Mir ist jedoch sehr lebhaft in Erinnerung, wie Sie meine Cousine Hetty behandelt haben.“
„Ah, ich hätte mir denken können, daß Sie auf dieses Beispiel zurückgreifen würden, obwohl die beiden Fälle sich überhaupt nicht vergleichen lassen! Der Ärger mit versponnenen jungen Damen ist, daß sie restlos den Sinn für die Wirklichkeit verlieren.“
Der verächtliche Ton, in dem Mr. Brooke das geäußert hatte, war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Olivia fand ihn abscheulich und widerlich.
Feindselig starrte sie ihn an und merkte, daß mittlerweile die Abneigung gegenseitig war.
Er atmete tief durch, ging
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