MYLADY SOMMERBAND Band 03: HERZKLOPFEN IM ROSENGARTEN / LADY ODER KURTISANE? / (German Edition)
niedergedrückt, weil er noch immer keinen Weg gefunden hatte, seine Maskerade unauffällig zu beenden. Nach reiflicher Überlegung war er zu dem Schluss gekommen, dass er Georginas Zusammentreffen mit dem Hilfspfarrer womöglich wirklich falsch gedeutet hatte. Noch war die Chance, seinen Engel für sich zu gewinnen, also nicht gänzlich dahin. Wenn er doch nur wüsste, wie er Georgina die Wahrheit beibringen sollte!
Sie erreichten das Dorf und bogen in den Weg zur Kirche ein. Wie zu Lebzeiten ihres Vaters wollte Georgina das Gebäude durch die Seitentür betreten.
„Glauben Sie, Ihre Mutter würde mir gestatten, mich zu Ihnen in den Kirchenstuhl Ihrer Familie zu setzen?“, fragte Latimer. „Da ich zum ersten Mal den hiesigen Gottesdienst besuche, fühle ich mich ein bisschen unsicher. Nicht überall im Land folgt man der gleichen Liturgie.“
„Tatsächlich?“ Georgina war erstaunt, sagte dann aber rasch: „Natürlich können Sie sich zu uns setzen. Doch nun entschuldigen Sie mich bitte einen Moment. Ich möchte den nassen Umhang ausziehen.“
Sie ließ das Kleidungsstück in einem Nebenraum, in dem bereits viele nasse Mäntel, Jacken und Umhänge hingen, fuhr sich mit den Fingern durch die feuchten Locken, rückte das Häubchen zurecht und begab sich zurück ins Kirchenschiff.
Ned empfing sie mit einem Lächeln. „Sie scheinen die Angewohnheit zu haben, ihre Hüte und Hauben zu zerdrücken, Miss Cunningham. Gestatten Sie?“ Er zupfte ein wenig an der Kopfbedeckung herum und nickte dann zufrieden. „Schon besser. Allerdings …“
Ihre Blicke trafen sich. Und Latimer verstummte. Georgina war, als bliebe die Welt plötzlich stehen. Sie vergaß alles um sich herum, sah, wie der Gesichtsausdruck des Gentleman sich änderte, wie ein sehnsüchtiger Ausdruck in seine Augen trat.
„Gina …“ Latimers Stimme klang heiser. Seine Finger schlossen sich zärtlich um ihre Hände. Er beugte sich ein wenig zu ihr herab, und seine Lippen näherten sich den Ihren.
Mit wild klopfendem Herzen stand Georgina reglos da. Irgendetwas in ihr schien sich mehr und mehr zu erwärmen, schien zu glühen, schien zu schmelzen. Ihre Knie wurden weich, und sie wollte sich Halt suchend an die kräftige Brust des Malers lehnen.
In diesem Augenblick ertönte ein mächtiger Akkord. Der Organist hatte das erste Lied angestimmt. Im selben Moment erwachte Georgina aus ihrer Trance. Auch Latimer zuckte zusammen, ließ die Hände der jungen Dame abrupt los und trat einen Schritt zurück. „Verzeihung“, murmelte er, während er verzweifelt versuchte, in die Wirklichkeit zurückzufinden. „Ich hätte nicht … Es war … Sie müssen mich für verrückt halten. Es gibt keine Entschuldigung für mein Benehmen.“
„Bitte, sagen Sie nichts mehr“, gab Georgina mit bebender Stimme zurück. „Am besten vergessen wir das Ganze einfach. Beeilen wir uns. Mama wird sich schon wundern, wo ich bleibe. Und der Gottesdienst fängt an.“
Gleich darauf schlüpften die beiden in die Kirchenbank der Cunninghams.
Zur Freude aller Gemeindemitglieder verkündete John Mansell als Erstes, dass er am Vortag zum Pfarrer von Compton Lacey berufen worden war. Es folgte eine kurze Gedenkrede zu Ehren des verstorbenen Reverend Cunningham, der alle gerührt lauschten.
Der Gottesdienst selbst nahm den üblichen Verlauf. Während der neue Pfarrer die Predigt hielt, grübelte Latimer darüber nach, ob er sich wohl nur eingebildet hatte, dass Georgina ihn verliebt angeschaut und darauf gewartet hatte, von ihm geküsst zu werden. Wenn er doch nur wüsste, welche Gefühle sie ihm entgegenbrachte!
Er zuckte zusammen, als die Orgel zur letzten Hymne aufspielte. Wie schnell die Zeit vergangen war. Und er konnte sich nicht an ein einziges Wort der Predigt erinnern. Dafür hörte er jetzt ganz deutlich, wie Mansell sich nach dem Lied von seinen Schäfchen verabschiedete, sie segnete und sagte: „Ich hoffe, Sie alle werden mir ein wenig von der Achtung und der Zuneigung entgegenbringen, mit der Sie Reverend Cunningham bedacht haben.“
Als der Name ihres Vaters fiel, warf Latimer Georgina einen kurzen Blick zu. Erstaunt bemerkte er, dass sie Kate strahlend zunickte.
O Gott, war sie etwa doch mit dem neuen Pfarrer liiert?
Die Kirche begann sich langsam zu leeren. Offenbar wollte jeder Mansell, der am Ausgang stand, die Hand schütteln und ihm sagen, wie schön es sei, dass er die Pfarrstelle erhalten hatte. Die Cunninghams befanden sich ziemlich weit hinten in
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