MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
solange sie denken konnte.
Ein Mann, der sie vor wenigen Minuten bei einer unhöflichen Bemerkung ertappt hatte. Ein Mann, den sie am liebsten umarmt und bei ihrer alljährlichen Weihnachtsgesellschaft willkommen geheißen hätte. Ein Mann, der ihr, als hätte er ihre Gedanken gelesen, aus stahlgrauen Augen einen warnenden Blick zuwarf, der besagte, dass er Mitgefühl weder annehmen konnte noch wollte.
Julia knickste höflich vor ihm und beobachtete, wie er sich darauf verneigte. Sein Gesicht war gezeichnet von den Jahren voll Kampf und Schmerz; für jemanden, der ihn als Knaben gekannt hatte, waren die Veränderungen offensichtlich.
„Miss Fairchild“, sagte er leise. Auf einmal so förmlich?
„Mr. Mac Lerie“, erwiderte sie. Zum Teufel mit dem Mann!
„Sie haben gerade etwas Boshaftes gedacht, nicht wahr? Ich habe dieses Blitzen in Ihren Augen gesehen, das bei Ihnen für gewöhnlich einem bedauerlichen Fehltritt vorangeht.“ Seine Neckerei sprach von ihrer gemeinsamen Vergangenheit, selbst wenn sein Ton nicht so herzlich war, wie sie es sich erhofft hatte, als sie ihn erkannte.
„Da schweigt eine Dame, Sir.“ Julia sah sich zu den anderen um, ehe sie sich vorbeugte und vertraulich wisperte: „Genau wie es ein Gentleman tun sollte, wenn er eine Dame zufällig bei einer Indiskretion ertappt.“
„Ich könnte ein ganzes Buch schreiben über Ihre …“, begann er, doch dann legte sie ihm die Hand auf die Lippen.
„Iain, bitte!“, flüsterte sie.
Er nahm ihre Hand weg, gab sie aber nicht sofort frei. Stattdessen hielt er Julia auf Armeslänge von sich ab und betrachtete sie von den hellblauen Bändern in ihrem Haar bis hinunter zu den hellblauen Abendschuhen.
Eigentlich legte sie keinen Wert auf solchen Tand, sie trug die Sachen eher ihrer Schwester zuliebe als aus echtem Interesse. Aber jetzt, da sie das merkwürdige Glitzern in Iains Augen sah, während er sie begutachtete, war Julia froh, dass sie sich an diesem Abend für ihre Toilette Zeit genommen hatte.
„Gut siehst du aus“, wechselte er ins altvertraute Du von früher.
Sie spürte, wie ihr unwillkommene Röte in die Wangen stieg, und entzog ihm ihre Hand. „Du aber auch.“
War es falsch, ihm das zu sagen? Seine Miene schien sich vor ihren Augen zu verhärten, und sie gewann den Eindruck, als hätte er sich am liebsten abgewandt, weil sie ihn an seinen Zustand erinnert hatte.
„Iain, bitte, warte doch“, sagte sie. „Es lag gewiss nicht in meiner Absicht, dass du dich unwohl fühlst. Ich wollte dich einfach nur begrüßen und dir sagen, dass ich … dass ich …“ Die Worte wirbelten in ihrem Kopf durcheinander, und eines klang persönlicher und mitleidiger als das andere. Schließlich entschied sie sich für die schlichteste Formulierung: „Dass ich froh bin, dich zu sehen, Iain.“
Er nickte und trat von einem Bein auf das andere, als sei ihm unbehaglich zumute. „Ich bin auch froh, dich zu sehen, Julia.“
Gerade als sie sich nach seinen Plänen erkundigen und unschickliche Neugier an den Tag legen wollte, kam seine Tante, Lady Mac Lerie, auf sie zu.
„Die Countess hat gesagt, dass jetzt im Roten Salon getanzt wird, Julia, und sie möchte, dass du dich dort zu ihr gesellst. Mit dem Rosinenfischen sind sie hier ja bald durch – für meinen Geschmack kann es gar nicht bald genug sein“, fuhr sie fort. Sie verachtete Dummheit ebenso sehr, wie Julia es tat, und dieses Spiel schien wirklich der Gipfel. „Begleitest du uns, Iain?“
Sie sagte das so nüchtern, dass Iain keinerlei Anstoß daran nahm. Er lächelte, was ihn aussehen ließ wie früher, und schüttelte den Kopf.
„Nein, Tante Clarinda, ich fürchte, die Anreise heute hat mich völlig erledigt. Ich bin mir aber sicher“, fügte er hinzu und deutete auf einen Mann in der Nähe, „dass dein Gatte diese ehrenvolle Aufgabe gern übernehmen wird.“
„Und mehrere Tänze für sich selbst fordern wird, bevor er dich irgendeinem anderen Mann überlässt“, erklärte Lord Mac Lerie, während er die Hand seiner Frau ergriff und Julia den freien Arm bot. „Anna hat uns neben den üblichen Kontretänzen auch ein paar Walzer versprochen, und ich weiß doch, wie sehr du den Walzer liebst.“
„Bis morgen dann, Iain?“, fragte Clarinda im Weggehen. „Das Dienstpersonal hier weiß, wie man ein richtiges Frühstück zubereitet, das solltest du dir nicht entgehen lassen.“
„Bis dann, Tante Clarinda. Onkel Robert.“
Julia verlangsamte ihre Schritte in der
Weitere Kostenlose Bücher