Myrddin
bringen.
„Willst du nicht einmal kosten? Einfacher Landwein. Aber er schmeckt. Das ist der einzige Luxus, den ich mir leiste … dann und wann ein Glas Wein“, erklärte Ganapathy, doch Myrddin gab sich mit dem Wasser zufrieden. „Übernimm dich heute abend nicht, William. Laß es ruhig angehen. Du siehst nicht wie jemand aus, der schwere körperliche Arbeit gewohnt ist. Also mach, was du kannst, und gewöhne dich allmählich an die Arbeit.“
„Das werde ich.“
„Unser Zelt ist alt. Und die Nähte sind rott. Deshalb muß jeder Handgriff sitzen. Wenn du also irgend etwas nicht verstehst, laß lieber die Finger davon und laß die anderen ran. Falscher Stolz kann großen Schaden anrichten. Und so ein Zirkuszelt aufzustellen, ist kein Kinderspiel. Das ist eine Sache, die gelernt sein will.“
„Gut, Ganymed. Ich werde mich nicht einmischen.“
„Halte dich an Alex. Der bewegt sich wie ein Schlafwandler. Er spricht nicht viel bei der Arbeit, weil er sie versteht. Und du … du bringst ihm das Sprechen bei?“
„Ja, damit er sich irgendwann einmal als Alexander Mladinska Raimann vorstellen kann. Und er lernt schnell.“
„Eigentlich ist es komisch, daß sich noch keiner von uns darum bemüht hat. Das finde ich jedenfalls großartig von dir, William. Und die Tiere? Kommst du mit ihnen klar?“
„Einige mag ich nicht. Aber sie trauen mir“, antwortete Myrddin.
„Die Tiere trauen dir? Was für ein merkwürdiges Vokabular. Woher willst du das wissen?“ fragte Ganapathy neugierig.
„Ich wollte sagen, daß sie keine Angst vor mir zeigen“, berichtigte sich Myrddin.
„Ach so. Das ist gut“, meinte der Clown und rieb sich die Stirn. „Ja, das ist gut. Was meinst du: Alex wollte dir bessere Kleidung geben. Willst du nicht vorher duschen? Du kannst meine Seife und mein Shampoo nehmen. Komisch, erst jetzt fällt mir auf: du hast kein Handtuch, keinen Rasierer, keine Zahnbürste … überhaupt nichts hast du bei dir. Wie hast du das vorher gemacht? Verkommen siehst du nicht aus“, wunderte sich der Clown. „Drei Tiere, ein paar Puppen und einen Stab … das hast du. Aber ein Handtuch und eine Zahnbürste hast du nicht. Und Seife auch nicht. Wie hast du vorher gelebt, William?“
„Je mehr einem das Augenlicht erlischt, desto mehr sieht man, Ganymed, nicht wahr.“
„Du bist mir schon der rechte Philosoph, mein Freund“, meinte Ganapathy ruhig, nippte an seinem Glas und wartete immer noch auf eine Antwort.
„In den Wäldern habe ich gelebt … mit den Tieren“, gab Myrddin beschämt zu.
„Das muß dir nicht unangenehm sein, William. Ich habe nur so gefragt. Wir haben eigentlich ein Alter, in dem wir uns auf unser Ruheteil zurückziehen sollten. Wir müssen doch in unserem Leben irgend etwas erreicht haben. Stattdessen kämpfen wir immer noch um unser Brot. Und du … du hast wirklich in den Wäldern gelebt?“ fragte Ganapathy interessiert, der sich nicht vorstellen konnte, daß man in den Wäldern leben konnte. „Du hast kein Haus, keinen Besitz, rein gar nichts …?“
„Ich bin mit den Tieren durch die Lande gezogen, und ehe ich mich versah, Ganymed, war ich zu alt. Das Leben fliegt nur so an uns vorüber. Man merkt es selbst gar nicht. Und dann zeigen einem die anderen das eigene Alter“, erklärte Myrddin geschickt.
„Du brauchst wirklich keine Rechenschaft abzulegen. Gehe erst einmal und dusche und dann findet Alex sicherlich etwas für dich. Du weißt, wo die Dusche ist?“
„Wenn du sie mir zeigen würdest“, bat Myrddin.
„Gut, gut … ich zeigen dir und du waschen …“, lachte Ganapathy, der Clown, stand auf und begleitete Myrddin in seinen Wohnwagen. Dort zeigte er ihm, was man eine Dusche nannte, gab ihm ein Handtuch, legte Rasiergel und einen Rasierapparat hin und verschwand wieder.
Myrddin genoß das Duschen und staunte über die unzähligen Gebrauchsgegenstände des Clowns, die in der Duschzelle unter seinem Spiegel lagen. Tuben, Pasten und Cremes. Bürsten, Schminke und edles Make-up. Düfte und Flacons. Und er sah über allem in den Spiegel und entdeckte sein altes Gesicht. Obwohl er alles wahrnahm, erschien es ihm vorübergehend zu sein. Er hatte mit seinem Gesicht seine Ziele und auf dem Weg dorthin ließ er sich von nichts und niemandem mehr aufhalten. Hätte er all die Dinge auf den Shetlands gesehen, hätte er sie wahrscheinlich hochinteressiert zu erforschen versucht. Aber seitdem die Gwyllons ihm seinen Weg gezeigt hatten, war es nur noch der Weg, der
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