Myrddin
Kunst dazu gebracht, unter diesen Stein zu treten. Und sie wirkte ihren Zauber plötzlich fort, indem sie Merlin unter diesem Felsen auf ewig jämmerlich bannte. Keine Kunst und keine Magie konnten ihm mehr helfen … und Nimue hatte sich seiner auf das Schändlichste entledigt. Sie ritt daraufhin zu ihren Inseln, ihn seinem von ihr gewolltes Schicksal unter dem Stein überlassend. Wäre ich damals nicht gewesen, der den Felsen mit den Hufen über Wochen hinweg zerschlug, säße Merlin noch heute wegen seiner Treue und Liebe zu einem Menschen gefangen in jenem Fels.“ Hörn beendete seine Erzählung und fügte ihr nach einer kleinen Pause hinzu: „Den Schmerz über ihren Betrug konnte er einige Jahrhunderte nicht verwinden – doch er hat daraus auch nicht gelernt. Heute ist er sich seiner Macht bewußt. Jedenfalls geht Merlin nicht leichtfertig mit seinen Freunden um, auch wenn diese es manchmal meinen, da sie ihn oft nicht verstehen können.“
Die Wölfe kannten die Geschichte nicht und sie schwiegen. Sie überdachten Hörns Worte und wußten, daß es wieder nur eine seiner guten Geschichten war, die man unterschiedlich interpretieren konnte, falls man es wollte. Doch dann begann Melchor zu sprechen: „Ich habe Sar Merodak unser Geleit angeboten und stehe dazu. Sollte sich meine Entscheidung als Irrtum erweisen, so werden wir uns von ihm trennen. Ich glaube, wir haben eine falsche Vorstellung von ihm, die wir mit dem heute Erlebten nicht zusammenbringen können. Falls es so ist, wie Hörn sagt – und ich selbst zweifle bestimmt nicht daran –, dann sind wir in guten Händen, deren Werk wir nur nicht zu verstehen in der Lage sind … aber deren Zeichen wir am Ende erkennen werden. Als dann … auf ein gutes Morgen!“ sagte Melchor und ließ die andern Wölfe sich seiner Meinung fügen.
VI
Das winterliche Klagelied des Nordens weckte Merlin. Kanadagänse, die in dem finsteren Morgen über die im hohen Sternenfunkeln glitzernde Eisfläche flogen – Melancholie in ihren Flügeln, die von Weite und Abschied sprach.
Dieser Winter war hart für die Tiere und hatte seine Opfer verlangt. Väterchen Frost hatte seine Schatten weit über Nordeuropa geworfen, zwingend wie schon lange nicht mehr, als wolle er sich gegen die Zukunft aufbäumen und seiner Vergangenheit Geltung verschaffen.
Merlin streifte seine Decke zurück, drehte sich von seinem Lager und stemmte die Hände in die Hüfte. Es war eisig. Seine Haut war faltiger denn sonst, seine Haare durcheinander und sein Bart hing ihm über die Schulter. Den Tieren vor der Höhle war sein Erwachen entgangen. Sie harrten in der Kälte und kämpften gegen ihre Müdigkeit. Den Wölfen war klar, sollten sie in solch fürchterlichen Eiszeiten nachts einschlafen, liefen sie Gefahr, trotz ihres Pelzes zu erfrieren.
Merlin zerschlug das Eis auf seiner Wasserschale, die sich nicht leeren zu lassen schien, trank etwas, benetzte sein Gesicht und glättete die Haare. Im dämmerigen Licht seiner Lampe schweifte der Blick durch seine Höhle. Er roch die getrockneten Kräuter, sah das Schlachtfeld seiner Verzweiflung, schüttelte grinsend seinen Kopf, rollte die Decke seines Nachtlagers – das kostbare Seeotterfell – zusammen, suchte sich einen Strick, zurrte ihn fest um das Fell, legte den Schlupfanorak über den Arm, ergriff seinen Eschenstab und schlug dann die Decken seines Einganges zurück.
In bester Stimmung schmetterte er ein Guten Morgen, meine lieben Freunde in die eisige Luft. Weit im Südosten verlief sich eine winzige Schäfchenwolke im matten Rosa über den Bergkämmen. Weiße Geistwesen lagen bewegungslos vor seiner Höhle – Wesen einer anderen Zeit, die – in Schnee und Reif getarnt – unheimlichen, feinen weißen Rauch ausstießen.
„Schlagt den Schnee aus eurem Pelz, ihr Guten! Wir werden auf große Fahrt gehen“, sagte Merlin und allmählich kam Bewegung in die Tiere.
Vorsichtig standen sie auf, als seien ihre Glieder aus Glas, schüttelten die staubigen Kristalle aus ihren Fellen, jaulten gähnend, streckten sich, sahen den Zauberer verstohlen an und nickten ihm freundlich zu.
Hörn erhob sich. Seine Knochen schmerzten, was er über die Jahre der Kälte zu verbergen wußte.
Merlin begrüßte dann jeden einzeln, strich ihnen über die Köpfe, hatte gute Worte, die sie ermutigen sollten, und sah den ängstlichen Zweifel in ihren Augen, ob er, ihr großer Sar Merodak, der Richtige sei, dem man folgen könne. Melchor kam als letzter der Wölfe
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